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Arousal-Theorie:

Wie entstehen paradoxe Reaktionen auf psychotrope Medikamente?

Die Schlaftablette macht hellwach und Koffein im Kaffee wiegt in den Schlaf. Paradoxe Reaktionen sind das Gegenteil von dem, was als Wirkung erwünscht war. Die Arousal-Theorie erklärt die Paradoxie.

Paradoxe Reaktionen auf Medikamente oder Amphetamine.Kinder mit dem Zappelphilipp-Syndrom können ihrem Umfeld gehörig auf die Nerven gehen. Sie sind unruhig, vergesslich, unkonzentriert und ständig irgendwie aktiv. Sie sitzen keinen Augenblick still und finden bedauerlich oft Gefallen daran, lautstark, polternd und auch durchaus aggressiv jegliche Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Diesem unermüdlich lärmenden Zustandsbild mit einem starken Aufputschmittel begegnen zu wollen, erscheint auf den ersten Blick völlig absurd. Doch tatsächlich ist es genau das, was den hyperaktiven „Kindern“ hilft. Wer das ursächlich funktional begreifen will, der muss wissen, was die Medizin unter einer paradoxen Reaktion versteht. Denn genau darauf ist es zurückzuführen, dass ADHS-Kinder unter Ritalin ruhig werden, während der gewöhnlich Sterbliche unter dieser Medikation tage- und nächtelang kein Auge zutun könnte. Und das Verständnis der paradoxen Reaktion erklärt auch, warum manche Leute erst nach einem extrastarken Espresso so richtig tief und fest schlafen können.

Die „Arousal-Theorie“ und ihre paradoxen Auswirkungen

Die Arousal-Theorie (Arousal = Erregung) besagt, dass es im menschlichen Gehirn ein optimales Niveau der zentralnervösen Erregung gibt, welches als angenehm und als anstrebenswert erlebt wird. Bei den meisten Menschen ist das Gehirn auf diesen optimalen Grad an mentaler Wachheit und Ansprechbarkeit eingenordet. Diese glückliche Mehrheit muss also nichts weiter machen, um sich eines frischen und aufnahmefähigen Gehirns zu erfreuen. Es gibt allerdings auch Personen, deren individuelles cerebrales Erregungsniveau deutlich unter dem Optimum dümpelt. Diese als unangenehm „dröge“ empfundene Minder-Wachheit suchen die Betroffenen dadurch zu kompensieren, in dem sie selbst aktiv für vermehrten stimulierenden Input sorgen. Dann sieht die Umwelt einen höchst aktiven bis hyperaktiven Menschen herumspringen. Den umgekehrten Fall gibt es natürlich auch. Das sind dann diejenigen, deren persönlicher Hirnwachheitsgrad so übermäßig hoch eingestellt ist, dass ihr bis zum Zerreißen angespanntes Nervenkostüm nur in möglicht großer äußerer Ruhe auszuhalten ist. Die Umwelt erlebt diese Menschen natürlich als ausgesprochen introvertiert, zurückgezogen und ruhebedürftig. Wer jetzt konzentriert mitgelesen und mitgedacht hat, dem wird aufgefallen sein, dass die mental untererregten Menschen nicht etwa tranig in der Ecke hängen, sondern ständig das Abenteuer suchen. Und die mental übererregten Zeitgenossen hibbeln nicht pausenlos in der Gegend rum, sondern ziehen sich still in möglichst störungsfreies Gebiet zurück. Das schmeckt durchaus schon nach der Paradoxie, die es nun zu enträtseln gilt.

Wann stellen Amphetamine ruhig?

Kämpft ein habituell untererregtes Gehirn gegen den „Boreout“ an, dann korrigieren Psychostimulantien wie Amphetamine oder auch Koffein das Erregungsniveau nach oben in Richtung goldene Mitte. Dadurch entfällt für den betroffenen Menschen die Notwendigkeit, pausenlos nach neuen Reizen zu suchen. Resultat: Er wird ruhiger.

Wann machen Schlafmittel wach?

Läuft das Gehirn ständig auf Hochtouren, dann setzen Schlaf- und Beruhigungsmittel das viel zu hohe Erregungsniveau auf das als angenehm erlebte Normalmaß zurück. Dann kann der mental deutlich entspannte Mensch aus seinem Schneckenhaus kommen. Resultat: Er wird agiler und zugewandter.

Welche praktischen Auswirkungen kann die paradoxe Reaktion haben?

Die Erfolge der Ritalin-Therapie bei ADHS-Patienten sind gut bekannt. Darüber hinaus können sich alle Menschen, die um ihre eigene paradoxe Reaktionsneigung wissen, ab sofort mit einem starken Kaffee selbst in den Schlaf wiegen. Oder mit einem Schlafmittel im System mal so richtig aufdrehen.

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