Ein Forscher in Kanada belegt nun, dass diese Aussage eher für westliche Kulturen gilt. Japaner zum Beispiel scheinen schon im jungen Alter weise zu sein.
„Ich strebe nicht danach, alle Antworten zu wissen, sondern die Fragen zu verstehen.“ Mit diesem bekannten Zitat eröffnete der kämpferische Shaolin-Mönch Kwai Chang Caine (David Carradine) in den siebziger Jahren die populäre Fernsehserie „Kung Fu“. Das zentrale Thema der Serie: Alte asiatische Weisheit trifft auf jungen amerikanischen Wissensdurst und Tatendrang – ein von jeher beliebtes Motiv, wenn westliche auf fernöstliche Kultur trifft.
Wenn man dem Psychologen und Altersforscher Igor Grossmann von der Universität Waterloo in der kanadischen Provinz Ontario glaubt, dann könnten Asiaten bei der Suche nach solcher Weisheit einen frühen Vorsprung haben. Denn Grossmanns Studie, die zu Monatsbeginn in der Fachzeitschrift „Psychological Science“ veröffentlicht wurde, belegt: Amerikaner erlangen Weisheit erst im Alter. Japaner hingegen verfügen über diese Qualität wesentlich früher. Verblüffend ist jedoch eine weitere Aussage der Studie: denn während Amerikaner demnach im Laufe der Jahre weiser werden, erscheinen die Japaner zu stagnieren, wenn auch auf sehr hohem Niveau.
Amerikaner müssen Weisheit lernen
Schon 2010 hatte Grossmann in seiner ersten Untersuchung zu dem Thema nachgewiesen, dass Amerikaner sich Weisheit über Jahre hinweg erarbeiten müssen. Damals noch an der Universität von Michigan tätig, baten er und sein Forscherteam 247 Versuchspersonen aus unterschiedlichen Altersgruppen, fiktive Zeitungsartikel zu bewerten. Im Bereich von Weisheit, die sich auf eine Gruppe oder Kollektiv bezieht, ging es zunächst um einen ethnischen Konflikt in Tadschikistan. In Sachen individueller Weisheit sollten die Testteilnehmer Leserbriefe an den Lebensberater einer Zeitung kommentieren. Dabei ging es vornehmlich um zwei Aspekte: eine Einschätzung, was als nächstes passieren würde. Und um einen Vorschlag, wie der Konflikt zu lösen sei.
Die Antworten wurden mit wissenschaftlichen Methoden ausgewertet, und zwar in Einzelkategorien, die Grossmann „die sechs Dimensionen der Weisheit“ nennt. Die Kernfragen umschreibt er dabei so: „Wird erkannt, dass sich die Welt ständig verändert? Können sie sich in die Lage der Beteiligten versetzen? Erkennen sie die Grenzen des Wissens? Erkennen sie die Richtungen, in die sich die Situation bewegen kann? Suchen sie nach Lösungen und Kompromissen?“
Der Volksmund hat Recht
Das Ergebnis: „Der Volksmund hat Recht. Ältere Menschen haben weisere Eigenschaften zur Konfliktlösung“, sagt Grossmann. Das Durchschnittsalter der zwanzig Prozent mit dem besten Testergebnis: 65 Jahre. Das Durchschnittsalter der übrigen 80 Prozent: 45 Jahre.
Zwei Jahre später wollte der Psychologe nun von Kanada aus erforschen, wie sich die amerikanischen Ergebnisse mit anderen Kulturen vergleichen lassen. Seine Methoden waren dabei jenen von 2010 sehr ähnlich – wieder ging es um die verschiedenen Dimensionen der Weisheit, wieder wurde kollektive und individuelle Weisheit erforscht und wieder wurden fiktive Zeitungsberichte eingesetzt. Lediglich der gesellschaftliche Konflikt fand diesmal auf einer verarmten Pazifikinsel statt, auf der Erdöl entdeckt wurde.
Junge Japaner sind weiser
Doch der entscheidende Unterschied bestand in einer Gruppe von 186 Japanern, deren Antworten mit denen von 225 Amerikanern verglichen wurden – mit signifikanten Unterschieden. Die Altersgruppen von 25- bis 75-jährigen konnten maximal 100 Punkte erreichen. Bei den Amerikanern wurden Grossmanns Resultate von 2010 bestätigt. In Sachen Kollektiv-Weisheit erhielten 25-Jahre-alte Amerikaner im Schnitt 45 Punkte, die 75-jährigen kamen auf 55. Im gleichen Zeitraum verbesserte sich die individuelle Weisheit von 46 zu 50 im hohen Alter. Insgesamt waren die Ergebnisse der 75-jährigen um 22 Prozent besser als die der 25-jährigen.
Nicht so bei den Japanern. Hier konnte Grossmann so gut wie keine Veränderungen feststellen. Jung oder Alt, die Punktzahl für Kollektiv-Weisheit blieb unverändert bei 51. Die individuelle Weisheit betrug 53 im Alter von 25 und 52 im Alter von 75. Erlernen Japaner Weisheit also schneller und stagnieren dann?
Forschungs-Boom
Forschung über den Zusammenhang von Alter und Weisheit ist derzeit en-vogue in wissenschaftlichen Kreisen. Besonders die vergangenen zwei Jahre haben geradezu eine Flut von Studien erlebt, die alle zu dem gleichen Schluss kommen: der Rückgang unserer mentalen Fähigkeiten im Alter ist überbewertet. Alte Menschen sind schlau und weise.
Die Studien bieten dabei ähnliche Erklärungen. So kamen Forscher von der Universität von Texas 2011 zu dem Schluss, dass ältere Menschen vor allem dann erfolgreicher als jüngere sind, wenn es darum gehe, das Gesamtbild zu sehen und langfristige Belohnungen zu bewerten. „Die Jüngeren waren nur dann besser, wenn es um kurzfristige Belohnungen ging“, sagt der Studienleiter Darrell Worthy. Das könne damit zusammenhängen, dass in jüngeren Menschen ein Teil des Gehirns namens „ventral striatum“ aktiver sei, welcher besonders durch kurzfristige Belohnung stimuliert werde.
Emotionen stehen im Wege
Auch Forscher an der Universität von Montreal belegen mit Neuroscans des Gehirns, warum ältere Menschen oft besonnener reagieren. Während einer Testreihe in 2011 konnte nachgewiesen werden, dass die Älteren zur Lösung eines Problems nur die Regionen ihres Gehirns aktivierten, die dafür notwendig waren. Bei jungen Testteilnehmern hingegen war Aktivität auch in unnötigen Bereichen des Hirns festzustellen. Das galt besonders wenn ihnen gesagt wurde, dass sie Fehler gemacht hatten. Dies aktivierte Gegenden des Gehirns, die für Emotionen zuständig sind und für die Lösung des Problems nicht gebraucht wurden. „Wir haben nun neuro-biologische Beweise, dass mit Alter Weisheit kommt. Das Gehirn lernt schlicht, seine Ressourcen besser einzuteilen“, sagt Projektleiter Oury Monchi.
Eine weitere Studie in Kalifornien belegt ebenfalls mit Neuroscans, dass kurzfristige Erwägungen und Gefühle der Weisheit junger Menschen im Weg stehen. Je älter die Versuchsteilnehmer waren, desto weniger Dopamin wurde ausgeschüttet, ein Hormon, das impulsive Entscheidungen begünstigt.
Kollektiv und Individuum
Könnten junge Japaner also weiser sein, weil ihre Gesellschaft ihnen früher lehrt, Emotionen im Griff zu haben und weniger impulsiv zu sein? Der Beweis dafür steht bislang noch aus. Noch sind viele Erkenntnisse in der relativ jungen Disziplin der Weisheitsforschung unschlüssig. So erscheint es in Grossmanns Test zum Beispiel paradox, dass ältere Amerikaner vor dem Hintergrund ihrer individualistischen Gesellschaft am besten in Sachen kollektiver Weisheit abschneiden. Und ältere Japaner, gewohnt an ein starkes Kollektiv, sind besonders gut in Sachen individueller Weisheit. Doch vielleicht ist dies auch kein Widerspruch. Grossmann hält es für möglich, dass sich die Weisheit des Einzelnen besonders stark auf den Ebenen entwickelt, in der seine Gesellschaft Defizite hat.
© Pixel Trader Ltd. 2013 Alle Rechte vorbehalten
Das Paradox der kollektiven Weisheit in einer individualistischen Gesellschaft scheint, zumindest in den USA, nur auf den ersten Blick pardox zu sein.> Teil der ur-amerikanischen Werte ist auch der Kommunitarismus, der die Verantwortung des Einzelnen gegenüber der Gemeinschaft betont.
Man lebt danach in dem Bewußtsein, das der gelebte Individualismus nur im Rahmen einer starken Gemeinschaft die den Individualismus trägt möglich ist. Das ist aus der Geschichte zu erklären: Siedler die aus Ländern kamen in denen sie wegen ihrer individuellen Weltsicht verfolgt wurden und nunmehr in diesem riesigen Land ihre „Freiheit“ leben konnten. Allerdings ohne festen staatlichen Rahmen, deshalb musste auch die Gemeinschaft die Freiheit des Einzelnen gegen die Unbill der Umgebung sichern. Daher ist bis heute die „Community“ zu stärken. Siehe hierzu : Hillary Clinton „It takes a village to educate a child“