Wer krank ist, möchte so schnell wie möglich wieder gesund und frei von Beschwerden sein. Sollte man zumindest meinen. Doch manchmal kommt ein kleines Zipperlein durchaus recht gelegen. Da wäre zum Beispiel der Hexenschuss, der einen leider daran hindert, bei einem Umzug zu helfen. Oder die hochgradig ansteckende Erkältung, die es bedauerlicherweise nötig macht, die an die Schwiegermutter ausgesprochene Einladung kurzfristig zurückzuziehen. Und dann ist da auch noch all die liebevoll fürsorgliche Aufmerksamkeit, der sich ein leidender Kranker sicher sein kann.
Kurzum: Eine passend gewählte Krankheit kann eine richtig gute Investition in die aktuelle Lebenssituation sein. Und wenn sich diese Investition auszahlt, dann spricht die Psychologie folgerichtig von Krankheitsgewinn. Da darf man ruhig mal einen psychoanalytisch motivierten Blick auf die unterschiedlichen Formen der Gewinnausschüttung werfen.
Primärer Krankheitsgewinn
Ein kranker Mensch ist direkt durch sein Leiden geschwächt. Das kann durch Schmerzen bedingt sein, aber auch durch eine eingeschränkte Bewegungsfähigkeit oder gar durch Bettlägerigkeit. Alle anderen Probleme des Alltags treten hinter diesen akuten und belastenden Beeinträchtigungen zurück und haben dann, salopp gesagt, Sendepause. Erst mal wieder gesund werden, dann kann man immer noch weitersehen.
Das bedeutet allerdings bei genauerem Hinsehen: Solange man krank ist, muss man sich nicht mit jenen Alltagskonflikten und Schwierigkeiten herumplagen, die sonst unausweichlich Thema gewesen wären. Gewiss, die Symptome der Krankheit sind nicht angenehm. Doch wenn die Probleme für den Gesunden deutlich schwerer wiegen als die Leiden für den Kranken, dann ist die bewusste oder unbewusste Flucht in die Krankheit durchaus eine logisch nachvollziehbare Art des Ausweichens. Diesem Psycho-Mechanismus dürfte beispielsweise so manche akute Erkrankung vor einer schweren Prüfung und so mancher Migräneanfall im Ehebett geschuldet sein.
Sekundärer Krankheitsgewinn
Kranke Menschen werden von ihrem wohlmeinenden Umfeld im Allgemeinen und vom Partner im Besonderen meist liebevoll gehätschelt und fürsorglich betüddelt. Dem Kranken sieht man vieles nach, insbesondere seine durch das Leiden bedingten Launen, und man bedient und verwöhnt ihn nach Strich und Faden. An so ein Dasein als Prinz oder Prinzessin kann man sich durchaus rasch gewöhnen. Vor allem dann, wenn es das soziale Umfeld dem Betroffenen in seinen gesunden Zeiten an der gewünschten Ehrerbietung und Freundlichkeit drastisch mangeln lässt. Da kann es schon mal passieren, dass der vernachlässigte Ehegatte einen kleinen Schnupfen zur gefühlten Schweinegrippe aufmotzt, um sich mit einer verstopften Nase und etwas Fieber einen großen Sack voll kostbarer Liebe zu erkaufen.
Tertiärer Krankheitsgewinn
Manchmal ist es gar nicht der Erkrankte selbst, der von seinem Leiden profitiert, sondern seine soziale Umwelt. Wer zum Beispiel zuhause einen siechen Angehörigen pflegt, hat bis zu dessen Lebensende für alles und jedes immer eine unschlagbare Ausrede. Und kann gleichzeitig in dem herrlichen Gefühl baden, dringend und unersetzlich gebraucht zu werden. Böse psychoanalytische Zungen behaupten sogar, dass alle Berufe des Gesundheitswesens grundsätzlich einen tertiären Krankheitsgewinn einstreichen.
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