Eine Straftat wurde verübt, ein Verdächtiger festgenommen. Die Gerichtsverhandlung endet mit einer wasserdichten Beweisführung, die den Beschuldigten als Täter überführt. Jetzt sollte den Verbrecher eigentlich eine harte und gerechte Strafe treffen. Doch was hier dem intuitiven Rechtsempfinden unmittelbar entsprechen würde, ist nicht zwingend die Konsequenz des offensichtlich delinquenten Verhaltens. Denn im Strafgesetzbuch sind die Situationen der Schuldunfähigkeit (§20 StGB) und der verminderten Schuldfähigkeit (§21 StGB) vorgesehen. Das bedeutet, dass sogar die übelsten Kapitalverbrecher straffrei ausgehen können, wenn es dem Verteidiger gelingt, die verminderte oder fehlende Zurechnungsfähigkeit zum Zeitpunkt der Tat überzeugend zu begründen. Doch wie handeln Advokaten für ihre gefährlichen Mandanten diesen „Persilschein“ aus? Und wo bleibt da die Gerechtigkeit für die Opfer?
Eine Frage des Menschenbildes
Das alttestamentarische „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ drückt den instinktiven Wunsch nach einer angemessenen Vergeltung für ein begangenes Unrecht aus. Wer einem anderen Schaden zugefügt hat, dem möge ein genauso schweres Leid als satisfaktorische Konsequenz geschehen. Die deutsche Strafgesetzgebung bemüht bei der Frage nach der angemessenen Bestrafung eines Vergehens jedoch nicht das offensichtliche und einfache Tatbestandsrecht, sondern das ethisch moralische Schuld- und Verantwortungsprinzip. Und so heißt es im §1 StGB: Wer ohne Schuld handelt, kann deshalb nicht bestraft werden. Da muss man sich als zurechnungsfähiger Bürger natürlich fragen, auf welche Weise Täter ihre hinderlichen höheren moralischen Instanzen mal eben an der Gerichtsgarderobe abgeben können.
„Die wollen doch nur spielen“
Kaltblütige Kriminelle dürfen völlig ungestraft die abscheulichsten Verbrechen begehen – wenn sie zum Tatzeitpunkt noch keine 14 Jahre alt sind. Der §19 StGB setzt nämlich den ach so unschuldigen Kindern automatisch einen vor Strafe schützenden Heiligenschein auf. Das führt dann dazu, dass Kinderbanden in Deutschland nach Herzenslust einbrechen, rauben, prügeln und sogar töten können – ohne unangenehme Konsequenzen. Und wer in seiner steilen kriminellen Karriereentwicklung dann irgendwann zwangsläufig das Pech hat, das 14. Lebensjahr zu vollenden, darf immer noch auf die verklärte Milde des Jugendgerichtsgesetzes hoffen.
Straffrei sind die Unzurechnungsfähigen
Dem Lebensalter nach erwachsene Straftäter handeln gemäß der §§20, 21 StGB mehr oder weniger ohne Schuld, wenn sie zum Zeitpunkt der Tat „wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tief greifenden Bewusstseinsstörung oder wegen Schwachsinns oder einer schweren anderen seelischen Abartigkeit unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.“ Man muss also als Täter nur den Beweis antreten lassen, dass man zum Tatzeitpunkt aus irgendwelchen Gründen nicht mehr Herr seiner Sinne, und schon gar nicht mehr befehlsgewaltiger Steuermann auf der eigenen mentalen Brücke war. Für gewöhnlich übernimmt diese befreiende Dienstleistung ein forensisch psychologischer oder psychiatrischer Fachgutachter. Und wenn der dann zu dem Schluss kommt, dass der Angeklagte wahlweise einen Hirnschaden oder eine Psychose hat, ein Soziopath oder ein Dementer ist, unter dem massiven Einfluss von psychotropen Substanzen stand, hoffnungslos übermüdet und erschöpft war, oder ganz spontan im Affekt gehandelt hat, dann bitte nichts für ungut, Euer Ehren.
Manches bedauernswerte Verbrechensopfer würde sich wünschen, mit dem gleichen Respekt und dem gleichen wohlwollenden Mitgefühl behandelt zu werden, wie es Tätern per Gesetz zusteht.
Buchtipp: Autoren: Wolfgang Joecks, Klaus Miebach, Bernd von Heintschel-Heinegg; Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch: StGB Band 1: §§ 1-37 StGB; Gebundene Ausgabe: 1700 Seiten; Verlag: Beck Juristischer Verlag; Auflage: 2 (August 2011); Sprache: Deutsch; ISBN-10: 3406602916; ISBN-13: 978-3406602917; Preis 292,00 Euro
Weiterführende Links zum Thema „Schuldunfähigkeit“:
Schuldunfähigkeit
http://de.wikipedia.org/wiki/Schuldfähigkeit
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