Als Graf von Wetterstein Fräulein Marianne sanft in seine muskulösen Arme zog, war sie im siebten Himmel. Würde der Mann ihrer sinnlichen Träume ihr jetzt diese eine Frage stellen? In jeder Faser ihres jugendlich biegsam schlanken Körpers fühlte sie, dass es jetzt gar nicht mehr anders sein konnte. Doch statt einer Frage suchten seine Lippen bittend und bebend die ihren. Fräulein Marianne – wollen Sie meine Gräfin von Wetterstein sein? Ein scheuer und dennoch fiebrig heißer Kuss war ihre Antwort. Oh ja, mein über alles geliebter Graf. Ja, ich will.
Na? Hat Ihnen, so als Frau, das gefallen? Dann könnten Sie sich in nicht zu unterschätzender Gefahr befinden. So postuliert es zumindest die britische TV-Psychologin Susan Quilliam. Denn sie ist der überzeugten Meinung, dass solche und ähnliche Textpassagen, wie es sie in Groschenromanen dutzendweise gibt, die Psyche von Frauen an dunkle Abgründe führen. Doch was ist wirklich dran an der Bedrohung durch betörende Barone und durchtrainierte Dandys?
Groschenhefte für große Mädchen
Liebesromane liegen nach wie vor weit vorne im weiblichen Lesetrend. Insbesondere erwachsene Frauen geben sich regelmäßig und mit uneingeschränktem Genuss den schmalzigen Märchen vom adligen Edelmann und seiner bürgerlichen Traumfrau hin. Doch was dort im Groschenheft die Realität rosafarben vernebelt, kann erschreckend echte Auswirkungen auf das tatsächliche Erleben und Empfinden der Leserin haben. Das zumindest behauptet Susan Quilliam in einer Publikation, die im renommierten „Journal of Family Planning and Reproductive Health Care“ veröffentlicht wurde. Die Autorin beschreibt darin ihre Befunde sinngemäß derart, dass viele Frauen durch die Inkongruenz von Groschenheft und grausamer Realität krankheitswertig verunsichert werden. Wenn man als regelmäßige Leserin immer und immer wieder mit dem gleichen „Schema F“ bedient wird, dann schleift sich irgendwann die Überzeugung fest, dass es diese eine ideale phantastische Beziehung geben könnte. Nun ja – für das eine oder andere attraktive Aschenputtel mag das Märchen ja auch tatsächlich wahr werden. Aber das Gros der Groschenroman-Leserinnen bleibt leider ungeküsst im gläsernen Sarg liegen. Und genau hier liegt das Problem. Denn wer sich der Realität nicht stellt, den wird die romantische Fiktion auf Dauer nicht befriedigen. Mal ganz abgesehen davon, dass, so Frau Quilliam, in lediglich einer von 10 fiktiven Romanzen der Gebrauch von Kondomen beim hyperromantischen Sex beschrieben würde.
Ganz ruhig, Braune!
Bei allem Respekt vor feministischer psychologischer Fachkenntnis – kann es sein, dass Frau Quilliam sich etwas weit aus dem Fenster lehnt, wenn sie behauptet, dass sensible Frauenseelen durch den regelmäßigen Konsum dieser billigen Love Stories für immer geblendet und geschändet wären? Natürlich soll nicht in Abrede gestellt werden, dass besonders beeinflussbare weibliche Seelen in der Folge einer Dauerberieselung durch Graf Göttlich den echten Überblick verlieren. Tatsächlich ist es aber in aller Regel ebenso gestandenes wie respektables Weibsvolk, das sich mit Retortenromanzen etwas mentale Entspannung verschafft, ohne dabei den Kopf oder den Sinn für die Realität zu verlieren.
Fazit
Die Gedanken sind frei. Weder Träume noch Phantasien sind verboten. Und solange frau weiß, dass Groschenromane lediglich der leicht seichten Unterhaltung dienen, geht von der lesenden Teilhabe an fiktiven Glücksmomenten ganz sicher keine Gefahr aus.
Weiterführender Link zum Thema:
Susan Quilliam: “He seized her in his manly arms and bent his lips to hers…”. The surprising impact that romantic novels have on our work – J Fam Plann Reprod Health Care 2011;37:179-181 doi:10.1136/jfprhc-2011-100152
http://jfprhc.bmj.com/content/37/3/179.full
© Pixel Trader Ltd. 2013 Alle Rechte vorbehalten