Es ist völlig normal, sich beim Auftreten ungewöhnlicher oder unangenehmer Symptome um sein physisches und psychisches Wohlbefinden zu sorgen. Doch diese Sorge kann in ihrer Intensität von Mensch zu Mensch höchst unterschiedlich ausfallen. Da gibt es auf der einen Seite jene Indianer, die keinen Schmerz kennen. Die können mit dem Kopf unter dem Arm dastehen, ohne deshalb ernsthafte Anzeichen der Beunruhigung zu zeigen. Und auf der anderen Seite dieser Besorgnisdimension stehen jene Personen, die schon beim kleinsten Hüsterchen von der alles verzehrenden Angst vor Kehlkopfkrebs im Endstadium gebeutelt werden. Für diese Personengruppe hat die wissenschaftliche Psychologie den Begriff der Hypochondrie geprägt. Doch was charakterisiert einen Hypochonder? Und wie kann man sich auch als psychischer „Normalo“ in eine Hypochondrie hineinsteigern?
Hypochondrie – Der eingebildete Kranke
Die Hypochondrie ist nach ICD-10 eine anerkannte psychische Störung aus dem Formenkreis der dort so genannten somatoformen (= den Körper mit einbeziehenden) Störungen. Ihr Thema besteht in der extrem übersteigerten Angst, unter einer höchst bedrohlichen Krankheit zu leiden, obwohl kein Arzt dafür auch nur den kleinsten Hinweis entdecken kann. Hypochondrische Patienten stellen sich in absolut echt empfundener größter Seelenqual beim Facharzt vor. Denn ihre Angst davor, eine vernichtende Diagnose zu hören, ist durch und durch authentisch. Umso befreiter und dankbarer fallen sie dem Arzt um den Hals, wenn dieser seinen negativen Befund glaubhaft darstellen kann. Diese grenzenlose Erleichterung hält allerdings nicht lange vor. Denn schon bald wird wieder hier ein Jucken und dort ein Zwicken registriert, das als Ursache ja wohl nur einen fortgeschrittenen Krebs haben kann. Wenn nicht gar noch Schlimmeres.
Differenzialdiagnostik beim Hypochonder
Der Hypochonder hat einen echten Leidensdruck, der ihm wirklich zu schaffen macht. Davon sind Simulanten sehr sorgfältig zu unterscheiden. Denn im Gegensatz zum Hypochonder weiß der Simulant ganz genau, dass ihm nichts fehlt. Deshalb kann der Simulant auch richtig böse werden, wenn ihm ein Arzt das direkt auf den Kopf zusagt. Der Hypochonder dagegen nimmt diese Botschaft als befreiende Entwarnung dankbar entgegen. Ein weiteres zu unterscheidendes Krankheitsbild ist das Münchhausen-Syndrom. Hier liegen nämlich tatsächliche Erkrankungen vor, die sich der „Patient“ allerdings selbst beibringt, um Stammgast in der Notaufnahme sein zu dürfen. Und schließlich ist der Hypochonder auch sehr streng vom Hysteriker zu unterscheiden; letzterer würde ein exotisches Krankheitsbild mit Freuden dazu benutzen, um im Rampenlicht zu stehen. Der Hypochonder dagegen scheut im Allgemeinen die Anteil nehmende Öffentlichkeit.
Mehr zum Thema Simulanten:
Wie aus Stresskopfschmerz ein Hirntumor wird
Jeder angehende Arzt kennt das Phänomen: Lernt man eine neue Krankheit im Hörsaal kennen, so findet man sofort Anzeichen derselben am eigenen Körper. Darum heißt diese spezielle Form der Hypochondrie auch „Erstsemesterkrankheit“. Und die kann man sich heute, ganz ohne Studium, auch im Internet zuziehen. Nämlich immer dann, wenn man vermeintliche oder tatsächliche Krankheitssymptome googelt. Denn wenn man dort erfährt, welche lebensbedrohlichen und bis dahin persönlich gänzlich unbekannten Ursachen der kleine Leberfleck oder das leichte Ziehen im Nacken haben kann, dann segelt man geradewegs in eine selbst gemachte Hypochondrie hinein. So wird der Online-Gesundheitscheck auch für Gesunde zum Krankmacher. Darum heißt es hier ganz besonders: Trau, schau wem.
© Pixel Trader Ltd. 2013 Alle Rechte vorbehalten
Schöner Artikel. Die Abgrenzung zwischen einem Hypochonder und einem Simulanten / Hysteriker haben Sie sehr schön beschrieben.
Ich habe jahrelang selbst unter Hypochondrie gelitten. Mittlerweile bin ich geheilt, aber das war eine harte Zeit. Mittlerweile versuche ich anderen Betroffenen zu helfen.
Von der Recherche im Internet bezüglicher eventueller Krankheiten kann ich auch nur abraten. All die Krankheiten, die ich glaubte zu haben, Wahnsinn!
Viele Grüße.