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Gewohnheitssache:

Habituation – Die erlernte Verhaltensunterdrückung

Die Habituation ist eine erlernte Verhaltensunterdrückung. Schon im Mutterleib gewöhnen wir uns an bestimmte Reize, auf die wir später nicht mehr reagieren.

Gewohnheitssache: Habituation - Mann schaut Fernseh, Frau dient als StehlampeDie Habituation ist eine sehr einfache, unbewusste Form des Lernens. Allerdings nicht in dem Sinn, wie man für eine Klassenarbeit pauken würde, sondern dahingehend, dass der Körper sich an bestimmte Reize gewöhnt und nicht mehr darauf reagiert. Wird eine Person also ständig dem gleichen Reiz ausgesetzt, der sich als folgenlos und unbedeutend erweist, stellt sich eine Gewöhnung ein und der Reiz wird wirkungslos.

Der Begriff Habituation stammt aus der verhaltensbiologischen Terminologie

Der britische Zoologe und Verhaltensforscher William Thorpe führte den Begriff der Habituation in einem Fachaufsatz aus dem Jahre 1944 ein. Damals definierte er die Habituation als „eine Aktivität des Zentralnervensystems, die dazu führt, dass angeborene Antworten auf schwache Stör- und Warnreize abnehmen, wenn der Reiz über längere Zeitspannen andauert, jedoch keine unvorteilhaften Auswirkungen hat“. Im Klartext heißt das also, dass ein Individuum lernt, auf einen Reiz nicht mehr zu reagieren. Das gesamte Reizmuster wird aus der Wahrnehmung ausgeblendet und dem Körper werden unnütze Reaktionen erspart.

Beispiele der Habituation

Noch lange vor der Begriffsschöpfung, gab es bereits im Jahre 1925 eine Studie, welche die Habituation beim Menschen nachweisen konnte. Der Berliner Kinderarzt Albrecht Peiper stellte fest, dass Säuglinge schon kurz nach der Geburt auf die Töne einer Spielzeugtrompete mit unterschiedlichen Bewegungen reagierten. Daraufhin untersuchte man, ob bereits ungeborene Kinder mit einem Strampeln auf die Töne reagieren würden. Tatsächlich begannen die Säuglinge im Mutterleib zu strampeln, nachdem das Signal einer Autohupe ertönte. Allerdings wurden die Reaktionen immer schwächer, je öfter die Hupe Geräusche von sich gab. Die Ungeborenen gewöhnten sich also an die Laute der Hupe und reagierten nach gewisser Zeit nicht mehr darauf. Spätere Untersuchungen konnten die Beobachtung bekräftigen. Denn auch auf Gerüche oder visuelle Reize reagierten Neugeborene in späteren Studien immer weniger, je öfter sie dem entsprechenden Reiz ausgesetzt waren.

Die FKK-Kultur erlebt die Habituation regelmäßig

Alles eine Frage der Gewohnheit - Frau mit Lampenschirm auf dem KopfDie Habituation ist grundsätzlich nicht mit der Adaption oder Ermüdung von Sinnesorganen zu verwechseln. Bei der Adaption gewöhnt sich das Auge beispielsweise wieder schnell an die Dunkelheit, nachdem es einer starken Lichtquelle ausgesetzt war. Der Habituation liegen jedoch keine körperlichen Ursachen zugrunde, sondern eine Verhaltenstechnische. Und jeder, der schon einmal der Freikörperkultur nachgegangen ist, kennt den Lernvorgang durch Habituation sehr gut. Nachdem man einen mehrtägigen Urlaub zum Beispiel überwiegend nackt verbracht hat und bei dessen Ende wieder zurück in den Alltag muss, wird die Kleidung zunächst ein irritierendes und störendes Gefühl auf der Haut hinterlassen. Doch schon nach kurzer Zeit hat man sich wieder an diesen Dauerreiz auf der Haut gewöhnt und hat kein Problem mehr, die Kleidung auf seiner Haut zu tragen. Ähnlich verhält es sich auch, wenn jemand zum ersten Mal eine Brille tragen muss. Zunächst wird sich das Gestell sehr störend auf die Blicke auswirken und auch das Gefühl auf der Nase scheint einen in den Wahnsinn treiben zu wollen. Doch lässt man die Brille auf, so gewöhnt man sich an die Reize und blendet sie unbewusst einfach aus. Sie kennen doch bestimmt auch einen Brillenträger, der einmal seine Brille gesucht hat und diese schon auf der Nase trug. Dies ist nur ein lebhaftes, weiteres Beispiel der Habituation.

Könnte die Habituation dann nicht auch nur eine Ermüdung der Sinne sein?

Nein, und dafür gibt es auch ein sehr plastisches Beispiel, das sicherlich auch viele von uns schon erlebt haben. Angenommen man zieht in eine neue Wohnung direkt an einer Autobahn und ist jeden Abend vor dem Einschlafen dem Lärm der Autos ausgesetzt, so setzt die Habituation ein und man gewöhnt sich einfach an die Geräusche. Soll man nach einer gewissen Zeit jedoch an einem vollkommen stillen Ort einschlafen, so hat der Reiz gewechselt und irgendetwas stimmt nicht an der Situation. Das Einschlafen wird trotz der Ruhe vielleicht schwerer fallen. Beruhte das Ausblenden der Fahrzeuggeräusche auf einer Ermüdung der Sinne, so dürfte es keinen Unterschied machen, ob es laut oder leise beim Einschlafen ist. Ist man aber an eine hohe Lautstärke gewöhnt, so wird das Einschlafen in Stille zunächst schwer fallen, so lange jedenfalls, bis man sich an die neue Situation gewöhnt hat.

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Über Stephan Lenz

Stephan Lenz studierte Philosophie, Soziologie und Anglistik an der Universität Mannheim. Es folgten schriftstellerische Fortbildungen und die freiberufliche Arbeit als Autor und Journalist. Neben unzähligen Artikeln in diversen Magazinen, veröffentlichte er Prosa im Charon Verlag, Hamburg, sowie im Wortkuss-Verlag, München. Er gehört seit vielen Jahren zum festen Stamm der Redaktion des Artikelmagazins.