Das Wort des ehemaligen Grünen-Politikers und Bundesaußenministers Joschka Fischer ist ein Klassiker geworden: „Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch“. Fluchen und schimpfen, ob im Plenum des Deutschen Bundestags oder schon in früheren Zeiten von der Kanzel, das hat die Menschheit unabhängig von aller Prüderie oder feiner Etikette stets begleitet. Martin Luther war in dieser Beziehung kein Waisenknabe, und den katholischen Würdenträgern hat Börries Freiherr von Münchhausen mit seiner Ballade vom fluchenden Bischof, der wegen seiner unflätigen Ausdrucksweise beim Vatikan einbestellt wurde, ein Denkmal gesetzt: „So hole Pest und Höllenbrand, die gottverdammte Reise…“. Nun mag sich mancher – auch scheinheilig – entsetzen, aber: Fluchen ist ein menschlicher Urtrieb und Balsam für die Seele. So sagen es Psychologen und Fluchforscher, die sich auch als Malediktologen bezeichnen.
Wüste Flüche im Kreißsaal
Balsam für die Seele – und eine gute Möglichkeit, Schmerzen zu übertönen, zu überlisten, (fast) vergessen zu machen. Dazu gibt es das Beispiel einer jungen Frau, bei der die Wehen einsetzen. Der Ehemann ist bei der Geburt dabei. Als es soweit ist, überschreit sie ihre Schmerzen mit einer Flut wüster Flüche. Der Ehemann ist entsetzt – über den Vorgang an sich, aber auch über das breite Schimpfwort-Reservoir seiner Gattin. Die Hebamme winkt ab; das sei man im Kreißsaal gewöhnt. Was die Kreißende tat, machen nach Untersuchungen kanadischer Mediziner chronische Schmerzpatienten: Sie schreien ihre Wut, ihren Schmerz heraus; sie zetern, schimpfen und verwünschen. Damit entspannen sie sich – mindern zumindest ihre andauernde Anspannung.
Ein reinigendes Wörterausscheiden
Auch wenn es puritanische Sittenwächter lange Zeit nicht wahrhaben wollten: In Stress-Situationen hilft es, selbst gesetzte Verbaltabus zu brechen. Fluchen nämlich befreit und baut Stress ab. Es ist ein reinigendes Wörterausscheiden, das seine befreiende Wirkung in vielerlei Situationen entfalten kann. Dazu gibt es Studien – wiederum aus der Klinik. In Operationssälen ist im Durchschnitt alle 51,4 Minuten mit einem Kraftausdruck aus dem Mund des Chirurgen zu rechnen. Und hat ein Orthopäde eine besonders komplizierte Gelenkoperation zu machen, steigt die Fluchfrequenz; nämlich auf einen Verbalausfall alle 29 Minuten.
Demenzkranke vergessen Schimpfwörter nicht
So sagt die Wissenschaft, das Bedürfnis des Menschen zu fluchen, sei so tief in der Architektur des Hirns verankert, dass sie zur sprachlichen Fähigkeit geworden ist, die am längsten erhalten bleibt. Alzheimerpatienten und Demenzkranke beispielsweise können auch dann noch mit Schimpfwörtern um sich werfen, wenn sie schon lange die Namen ihrer Nächsten vergessen haben und ihr Vokabular längst massiv eingeschränkt ist.
© Pixel Trader Ltd. 2013 Alle Rechte vorbehalten