Wer schon einmal aufgrund einer schweren Halsentzündung „vom Mündlichen befreit“ war, oder wegen diverser HNO-Erkrankungen den verbalen Kommunikationen seiner Mitmenschen nicht mehr verständig folgen konnte, weiß das aus eigener Erfahrung. Wie grauenhaft muss es da erst sein, zwar sprechen zu wollen, aber nicht mehr zu können? Oder die allgegenwärtige gesprochene Sprache zwar rein akustisch zu hören, aber in der Bedeutung nicht mehr dechiffrieren zu können? Im ersten Fall sprechen Kliniker und Psychiater von der Broca-Aphasie, im zweiten von der Wernicke-Aphasie. Woher haben diese Sprachstörungen ihre Namen? Und wie machen sie sich für die Betroffenen und deren Umfeld bemerkbar?
Broca-Aphasie – Das motorische Problem
Der französische Chirurg Paul Broca entdeckte im Jahre 1861 ein Hirnareal, das für die gesamte Motorik des Sprechens verantwortlich zu sein schien. So stand ihm das Privileg zu, diesen Hirnabschnitt auf seinen Namen zu taufen. Seither wurde, meist über das wissenschaftliche Instrument der Läsionsstudie, einiges über das Broca-Zentrum in Erfahrung gebracht. Wer hier eine Schädigung davongetragen hat, etwa durch ein Schädel-Hirn-Trauma oder einen Raum fordernden Prozess im Gehirn, der verliert ganz oder teilweise die Fähigkeit, sich sprachlich auszudrücken. Besonders qualvoll dabei: Die Betroffenen sind sich ihrer plötzlichen Behinderung wohl bewusst. Sie wissen ganz genau, was sie sagen wollen, die Worte liegen ihnen sozusagen auf dem Zungengrund – aber sie können sie nicht hinausbringen. Darum sprechen sie extrem langsam und müssen dabei dennoch sehr viele Pausen einlegen. Es ist den Patienten deutlich anzumerken, wie viel Konzentration, Kraft und Anstrengung sie das Sprechen kostet. Und den Betroffenen selbst ist es unendlich peinlich, sich nur noch auf eine dermaßen reduzierte Art ausdrücken zu können. Der Broca-Aphasiker kann nur mit Mühe und Not extrem einfache Sätze bilden, wobei er in seiner Bedrängnis oft auf einen Telegrammstil verfällt. Viele sind in dieser misslichen Lage auch so verzweifelt, dass sie das Sprechen erst mal komplett drangeben – in der Hoffnung auf Heilung und Besserung.
Wernicke-Aphasie – Das sensorische Problem
Carl Wernicke, ein berühmter deutscher Psychiater, gab als Erstbeschreiber im Jahre 1874 der Wernicke-Aphasie seinen Namen. Personen, die an dieser Sprachstörung leiden, haben keinerlei Krankheitseinsicht – und leider auch keinerlei Einsicht mehr in die Bedeutung der gehörten Sprache. Die Worte branden an das Trommelfell, finden als adäquate Reize ihren Weg in das Gehirn – doch wenn im Wernicke-Hirnzentrum kein Licht brennt, dann machen all die seltsamen Töne keinen Sinn mehr. Wer sich einmal künstlich (und natürlich nur zu Anschauungszwecken) in so eine Lage versetzen will, der muss sich lediglich unter Menschen mischen, die allesamt eine komplett fremde Sprache sprechen. Das Finnische und das Ungarische sind für Personen deutscher Muttersprache für diesen Selbstversuch hervorragend geeignet. Der Wernicke-Aphasiker hat leider keine Möglichkeit, sein persönliches Absurdistan selbstbestimmt zu verlassen. Stattdessen plappert er munter drauflos, in der irrigen Annahme, sinnvolle Sätze zu bilden. Das Sprachbedürfnis ist dabei so stark, dass der Begriff „Logorrhoe“, also „Sprachdurchfall“, die Situation treffend beschreibt.
Beide Aphasieformen weisen auf ein empfindlich geschädigtes Gehirn hin und gehören umgehend in neurologische Behandlung.
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