Der Klimawandel gefährdet Kanadas beliebtesten Freizeitsport. Laut Einschätzung einer in dieser Woche veröffentlichten Umweltstudie könnte es mit Freiluft-Eishockey vielerorts in einigen Jahrzehnten vorbei sein. Naturschützer hoffen nun auf eine Signalwirkung für die Energiepolitik des Landes.
Der kleine Weiher am Rande eines Neubaugebietes im kanadischen Barrie ist die kanadische Version eines deutschen Bolzplatzes. Die Stadt liegt innerhalb eines Gebietes, das von Meteorologen als „der Schneegürtel“ im Süden der Provinz Ontario bezeichnet wird. Obwohl nur gut 100 Kilometer nördlich von Toronto gelegen, gibt es in Barrie im Winter wesentlich mehr Schnee und kalte Temperaturen als in der Millionenmetropole. Dies freut zumindest Kinder und Jugendliche, die bei den ersten Anzeichen von Minustemperaturen aufgeregt ihre Schlittschuhe schärfen, um sich auf eine Partie von Freiluft-Eishockey vorzubereiten – dem wohl beliebtesten Freizeitsport Kanadas.
Doch auch heute wird es wohl damit nichts in Barrie. Obwohl der Kalender noch tiefen Winter anzeigt, liegen die Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt – zu warm für eine solide Eisdecke auf dem Weiher. Enttäuscht ziehen die jungen Sportler davon und überlassen das Feld einer Entenfamilie, die über das Gewässer paddelt. „Es gab kaum Eis dieses Jahr. Ich habe nur ein- oder zweimal Eishockey gesehen“, sagt Anwohnerin Liz Hill, die von ihrem Haus den Weiher übersehen kann.
Kein Freiluft-Eishockey mehr im Jahre 2050?
Die Szene aus Barrie ist kein Einzelfall. Überall in Kanada berichten enttäuschte Freizeitsportler in diesem milden Winter von ähnlichen Situationen. Und nun belegt eine in dieser Woche veröffentlichte wissenschaftliche Studie, dass dieser Eisrückgang einem Trend folgt, der in den kommenden Jahrzehnten noch weniger Freiluft-Hockey zulassen wird. Demnach könnte es sogar in manchen Regionen Kanadas bis 2050 mit dem Sport gänzlich vorbei sein.
Drei Klimaforscher von den beiden Montrealer Universitäten McGill und Concordia publizierten am Montag ihre Erkenntnisse in dem britischen Wissenschaftsjournal „Environmental Research Letters“. Sie hatten zuvor Temperatur-Daten von 142 Wetterstationen in ganz Kanada ausgewertet, die bis 1951 zurückreichen. Dabei stellten sie „einen statistisch signifikanten Rückgang in der Dauer der Eislauf-Saison“ in vielen Regionen Kanadas in den vergangenen 60 Jahren fest.
20 bis 30 Prozent weniger Eiszeit
Um zu einer verlässlichen Definition der kanadischen Eislauf-Saison zu gelangen, befragten die Umweltforscher die Wärter von Freiluft-Eisbahnen in den Provinzen Ontario und Quebec. Nach Angaben dieser sogenannten Eismacher könne eine solche Bahn erst dann angelegt werden, wenn die Außentemperaturen für mindestens drei Tage minus fünf Grad Celsius oder weniger betragen. Dies wurde in der Studie als Beginn der Saison bewertet. Danach gingen die Forscher von Temperatur-Durchschnittswerten aus, um das Ende für die Schlittschuh-Saison zu ermitteln.
Das Ergebnis: besonders im Süden und Westen Kanadas ist die Freiluftsaison für Eishockey und verwandte Sportarten heutzutage zwischen 20 und 30 Prozent kürzer als in den fünfziger Jahren. In dem selben Zeitraum haben sich Temperaturen in Kanada um durchschnittlich 2,5 Grad Celsius erhöht. Dies ist rund dreimal mehr als die von Wissenschaftlern dem Klimawechsel zugeschriebene Erwärmung des gesamten Planeten in dieser Spanne. Wegen industrieller Emissionen und Autoabgasen sind die Werte für kanadische Großstädte dabei noch extremer.
Enorme kulturelle Bedeutung
Die Tendenz wird nach Einschätzung der Wissenschaftler anhalten. „In der extremsten Situation im kanadischen Südwesten kann man die Zahlen der letzten 30 Jahre linear in die Zukunft projizieren. Dann erhalten wir Null Eistage in dieser Region zur Jahrhundert-Mitte“, sagt Damon Matthews, einer der Autoren der Studie. 80 Prozent der Kanadier leben in Ballungszentren im Süden des Landes, nahe der amerikanischen Grenze, und wären von der Prognose besonders betroffen. Matthews betont, dass Großstädte wie Toronto, Montreal oder Calgary Eisbahnen dann künstlich frieren müssten. Das wäre für die strapazierten Budgets vieler Städte unmöglich.
Eishockey ist Kanadas Nationalsport und hat eine enorme kulturelle Bedeutung. 16,6 Millionen Kanadier verfolgten 2011 die Fernsehübertragung des Olympia-Triumphs ihres Nationalteams in Vancouver. Während des Finales gegen die USA verzeichneten die Wasserwerke des Landes Minusrekorde im Toilettengebrauch während das Spiel im Gange war und Höchstwerte in den Drittelpausen.
Lehrstunden für Eishockey-Superstars
Gerade die Freiluftvariante gilt dabei als Quelle der Begeisterung vieler Jugendlicher, und so mancher Superstar in der Profiliga NHL, wie zum Beispiel Kanadas Sportheld Wayne Gretzky, hat seine ersten Versuche mit dem Puck auf einen überfrorenen Weiher oder einer Freiluft-Eisbahn gemacht. Die Zeitschrift „The Walrus“ sieht Freiluft-Hockey dabei sogar als „Metapher für das Leben im Norden“, als etwas, das solch unterschiedliche Menschen, wie „den Bauarbeiter in Alberta, den Farmer in Saskatchewan, den Anwalt in Montreal oder den Manager in Toronto“ vereine.
Genau auf diese kanadische Liebesaffäre setzen deswegen nun auch die Umweltaktivisten. Sie hoffen, dass die Bedrohung des Eishockeys ihres Landsleute endlich in Sachen globaler Erwärmung wachrüttelt. „Wenn ich über Dinge nachdenke, die gleichzeitig vom Klimawandel bedroht sind aber auch Kanadiern am Herzen liegen, dann würde ich Freiluft-Hockey als erstes nennen“, sagt Matthews.
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Umweltschützer hoffen auf Signalwirkung
Die konservative Regierung Kanadas hatte unlängst ihren Ausstieg aus dem Kyoto-Protokoll zum Klimaschutz verkündet. Das Land möchte sich nach Aussagen seines Premierministers Stephen Harper als „Energie-Supermacht“ etablieren und fördert dazu besonders den als besonders klimaschädlich geltenden Abbau von Schiefer-Öl in seiner Provinz Alberta. Dabei wird nach Aussagen von Experten ein Barrel Öl verwendet, um drei Barrel Öl zu produzieren, was zu gewaltigen Treibhaus-Emissionen führt.
Allerdings gilt Harper auch als großer Eishockeyfan. Deswegen hoffen Umweltschützer nun, dass wenn der Premierminister sich auch anscheinend nicht für die Rettung des Weltklimas erwärmen kann, er sich vielleicht zumindest um seinen Lieblingssport sorgt.
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