Deshalb sind synthetische Hormone hierzulande aus gutem Grund verschreibungspflichtig. So zumindest die allgemeine Annahme.
Leider wurde die Rechnung ohne Lebensmittelproduzenten und Verpackungshersteller gemacht. Denn industriell hergestellte Nahrung enthält oft hormonell wirksame Substanzen, die während der Produktion ihren Weg ins Essen finden – in unbekannter Dosis.
Bisphenol A (BPA) beispielsweise steckt in Lebensmittelverpackungen und wandert bei der Kontaktaufnahme direkt ins dazugehörige Lebensmittel, so dass der Verzehr zu körperlichen Reaktionen führt, deren Auswirkungen heute noch nicht abzusehen sind.
Hormonstörer und Plastikhormone – wohl bekommt’s
Es ist nicht ungewöhnlich, dass sich hormonell wirksame Substanzen in der Nahrung finden und bei Soja, Leinsamen oder Bier ist das von der Natur auch durchaus so vorgesehen.
Anders ist es mit Lebensmitteln, die während der Produktion Plastikhormone oder Hormonstörer (Endokrine Disruptoren, EDCs) aufnehmen und so in den Nahrungskreislauf einführen.
Substanzen dieser Art greifen in das hochkomplexe endokrine System ein und verändern z. B. körpereigene Hormonrezeptoren. Deshalb ist ihre Wirkung Gegenstand wissenschaftlicher Debatten.
An die 1000 dieser Hormonstörer gibt es derzeit, so der amerikanische Hormonforscher Frederick vom Saal (University of Columbia, Missouri). Sie werden unter anderem verdächtigt, Übergewicht, Diabetes oder Immunstörungen zu provozieren und das Erbgut zu beeinträchtigen.
Vom Saals Forschungen zeigen: Wenn Kinder im Mutterleib Chemikalien ausgesetzt sind, die östrogenartig wirken, so führt das „bei männlichen Kindern zur Vergrößerung der Prostata, Veränderungen der Enzymaktivität und der Steroidrezeptoren in einigen Organen, einer Verringerung der Spermienproduktion und gesteigerter Aggressivität, während es bei weiblichen Kindern die Wechselwirkungen zwischen Nerven- und Hormonsystem, die Funktion des Uterus sowie das Verhalten verändert“, so vom Saal (vgl. hier).
Wozu diese Hormonstörer noch in der Lage sind, das zeigen Untersuchungen der Ökotoxologin Susan Jobling. Die Umweltwissenschaftlerin der Brunel University in London stieß während ihrer dreijährigen Wasseranalyse englischer Flüsse auf zweigeschlechtliche Fische. Jobling ist davon überzeugt, dass chemisch bedingte Hormonschäden bei Tier und Mensch weitaus komplexer sind, als wir das bislang ahnen.
Bisphenol A – ein Plastikhormon in aller Munde
Aus der Vielzahl von Plastikhormonen ragt vor allem das Bisphenol A negativ heraus. Wie genau Bisphenol A auf den menschlichen Körper wirkt, ist noch nicht hinlänglich erforscht, allerdings gilt es bereits jetzt als Hormongift, das mit sexuellen Störungen, reduzierter Spermienzahl, Frühreife, Herz-Kreislaufstörungen, Diabetes und Verhaltensstörungen in Verbindung gebracht wird.
An die drei Millionen Tonnen Bisphenol A werden jährlich produziert, und dem Hormongift aus dem Weg zu gehen, ist nahezu unmöglich. Es steckt in Plastikdosen, Lebensmittelverpackungen, der Beschichtung von Konservendosen, in Schnullern ist sogar in der Luft nachgewiesen.
Analysen des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) ergaben, dass sich das Bisphenol A sogar im Hausstaub von Kindertagesstätten nachweisen ließ. „Der mittlere Gehalt an Bisphenol A im menschlichen Blut ist mittlerweile höher als die Konzentration, die bei Mäusen zu einer Beeinträchtigung der Sexualentwicklung führen kann“, warnt der BUND auf seiner Webseite im „Schwerpunkt Bisphenol A“.
Winziger Lichtstreif am Horizont: Die Verwendung von Bisphenol A in Babyflaschen ist dank eines EU-Beschlusses seit dem 1. Juni 2011 verboten. In Dänemark dehnte man dieses Verbot sogar auf andere kinderspezifische Produkte aus. Erstaunlicherweise schien das Verbot die Plastikhersteller nicht allzu hart zu treffen, denn die zauberten kurzerhand Bisphenol-A-freie Produkte aus dem Hut…
Wie der Kunst-Stoff Plastik unsere Welt beeinflusst, zeigt auch Werner Bootes 2009 erschienener Kinodokumentarfilm „Plastic Planet“.
Weitere Informationen:
Hunt, P.A., M. Susiarjo, C. Rubio, and T.J. Hassold: The Bisphenol A Experience: A Primer for the Analysis of Environmental Effects on Mammalian Reproduction. Biol Reprod, 2009.
Myers, J.P., F.S. vom Saal, et al.: Why public health agencies cannot depend on good laboratory practices as a criterion for selecting data: the case of bisphenol A. Environ Health Perspect, 2009. 117(3): p. 309-15.
Muhlhauser, A., M. Susiarjo, C., et al.: Bisphenol A effects on the growing mouse oocyte are influenced by diet. Biol Reprod, 2009. 80(5): p. 1066-71.
Susiarjo, M. and P. Hunt: Bisphenol A exposure disrupts egg development in the mouse. Fertil Steril, 2008. 89(2 Suppl): p. e97.
Weiterführende Links zum Thema:
Dorothea Jung: Kleine Menge, große Wirkung. Hormonell wirksame Stoffe in der Umwelt
http://www.dradio.de/dlf/sendungen/umwelt/1167133/
Bayerisches Landesamt für Umwelt: Umweltchemikalien mit hormoneller Wirkung (PDF: 260,18 KB)
http://www.lfu.bayern.de/umweltwissen/doc/uw_25_hormonell_wirksame_umweltchemikalien.pdf
WWF: Gefahren durch hormonell wirksame Pestizide und Biozide (PDF: 1,06 MB)
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