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Zellforschung

Das Maiglöckchen-Phänomen: Spermien riechen nichts

Zellforschung: Forscher untersuchen Spermien im LaborWissenschaftler erfreuen die Menschheit oft mit schönen neuen Erkenntnissen. Manchmal aber zerstören sie auch den Glauben an liebgewonnene Theorien. Wie zum Beispiel der, dass Spermien sich den Weg zur weiblichen Eizelle erschnüffeln. Sie stehen nämlich unheimlich auf Maiglöckchenduft. Doch nun ist klar – Spermien riechen nichts.

Sie haben es wieder getan – uns unserer Illusionen beraubt. Deutsche Wissenschaftler haben mal eben verkündet: Spermien können nicht riechen! Seit 2003 glaubten wir endlich zu wissen, wie die wieselflinken, aber leider vollkommen blinden Spermien auf ihrem langen und gewundenen Weg die weibliche Eizelle finden. Amerikanische Forscher hatten die Voraussetzungen ergründet, Bochumer Zellforscher die grandiose Entdeckung vervollständigt – demnach schnüffeln Spermien einem Geruch hinterher. Aber nicht irgendeinem – Maiglöckchenduft muss es sein. Was für eine charmante Vorstellung. Und gleichzeitig gingen die Wissenschaftler davon aus, dass Nase und Spermien eines Mannes mit den gleichen Sensoren ausgestattet sind. Ergo: Tests zur Fruchtbarkeit des Mannes sind leicht mit der Nase zu erledigen – einfach ein Maiglöckchen vor das Gesicht halten und wenn der Erwählte das Blümchen intensiv riechen kann, sofort ein ruhiges und gemütliches Plätzchen zum Fortpflanzen suchen. Das sind doch Forschungen, die das Herz erfreuen!

Der praktische Nutzen dieser These geht aber noch viel weiter. Maiglöckchen sind ja nicht immer zu haben, frisch und riechend schon gar nicht. Nivea Creme kann da aushelfen. Die gute blaue Dose mit der weißen Schrift enthält ebenfalls Maiglöckchenduft – wie herrlich einfach könnte das Finden eines zeugungsfähigen Mannes sein, das ganze Jahr über.

Spermien orientieren sich an Ionenkanälen

Und nun – alles gar nicht wahr! Na gut, genau genommen gab es schon vorher ein bisschen Zweifel an der charmanten These. Der lockende Bestandteil des Maiglöckchens, Bourgeonal, ließ sich in den weiblichen Geschlechtsorganen nämlich gar nicht nachweisen. Ebenso wenig wie andere Duftschönheiten. Aber ein so nebensächliches Detail ficht einen richtigen Forscher natürlich nicht an. Vor allem, wenn das Maiglöckchen-Phänomen im Labor immer wieder zu beobachten war. Warum, haben jetzt andere Forscher aus Bonn und Jülich entdeckt. Das Maiglöckchen hatte etwas getan, was eigentlich die Aufgabe von Progesteron ist – Ionenkanäle öffnen. Die Spermien schwimmen nicht einfach drauf los und hoffen, dass sie schon irgendwie irgendwo ankommen werden, sie orientieren sich. Und zwar mittels Überprüfung des chemischen Milieus auf ihrem Weg, dazu benutzen sie in ihnen angelegte Ionenkanäle. Öffnen sich die Kanäle, strömt Kalzium ein, was vermutlich der Steuerungsaktivität der kleinen Flitzer zugute kommt. Derart manövrierfähig finden dann die ganz hellen Köpfe die Eizelle und gehen ihrer Bestimmung nach.

Im Labor hatte der Maiglöckchenduft diese Reaktionskette gestartet, daher auch die Annahme, dass der blumige Lockstoff der Wegweiser zur Eizelle ist. Die jetzige Erklärung klingt weniger prosaisch: Es ist das Progesteron. Die Spermien haben Sensoren, die das in der Nähe der Eizelle gebildete weibliche Geschlechtshormon aufspüren können und schwimmen zu ihm. Dieses öffnet und aktiviert dann die Ionenkanäle – der Rest der alten Erklärung behält Gültigkeit. Im Labor konnte der Maiglöckchenduft die Forscher narren, weil er etwas ähnliches wie das Progesteron tatsächlich kann, nämlich das Progesteron imitieren. Allerdings nur in einer massiven Überdosis. Da brauchte es schon die 1000fache Konzentration des Progesterons – ein Wert, der in einem menschlichen Körper nicht eben einfach so vorkommt.

Auf jeden Fall ist geklärt, dass es Lockstoffe sind, die Unmengen von Spermien den richtigen Weg weisen. Die Forscher sind momentan dabei, zu klären, ob es neben Progesteron noch andere solcher lockenden Substanzen gibt. Medizinisch bedeutsam könnten all diese Hypothesen sein, um sie zur Verhütung zu nutzen – bis dahin ist es aber noch ein weiter Weg. Ungefähr so lang, wie der, den die Spermien vor sich haben.

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Über Manuela Käselau

Manuela Käselau ist Physiotherapeutin und Shiatsu-Praktikerin (GSD). Parallel studierte sie Phonetik, Niederdeutsche Linguistik und Systematische Musikwissenschaft an der Universität in Hamburg. Als freie Autorin schreibt sie für diverse Online- und Printmedien, hauptsächlich im medizinischen Bereich. Seit 2012 ist sie ein Mitglied der Redaktion.