Der Siegeszug der Tablet-Computer hat eine neue, ungewöhnliche Zielgruppe erreicht. In nordamerikanischen Zoos beschäftigen sich seit kurzem Orang-Utans mit den handlichen Geräten und nutzen sie zum Zeichnen, Musizieren und vielleicht sogar demnächst für Online-Dates. Wissenschaftler erhoffen sich dadurch neue Einblicke in die Intelligenz der Menschenaffen.
Die 31-jährige MJ hat große, ausdrucksvolle Augen, zeichnet gerne und liebt Dokumentarfilme von Sir Richard Attenborough. Sie mag es auch, sich Videoclips von attraktiven männlichen Artgenossen auf ihrem iPad Tablet-Computer anzusehen. Doch MJ ist keine Kundin eines Onlinedating-Service. Sie ist nicht einmal ein Mensch. Das Orang-Utan-Weibchen lebt im Zoo von Milwaukee und profitiert von einer Initiative namens „Apps für Affen“, die es sich zum Ziel gemacht hat, nordamerikanische Zoos mit mehr Tablet-Computern für deren Menschenaffen auszustatten. „Unsere Warteliste für solche Computer umfasst derzeit 20 Zoos“, sagt Richard Zimmerman, Direktor der NGO „Orangutan Outreach“.
Die Idee, aus der „Apps für Affen“ hervorging, entstand im Zoo von Milwaukee, als der dortige Gorilla-Pfleger scherzhaft vorschlug, für die Primaten Tablets anzuschaffen. Ein privater Spender nahm die Bemerkung ernst und gab dem Zoo sein altes iPad. Während die Gorillas des Tiergartens sich von der Idee weniger angetan zeigten, waren die Orang-Utans hellauf begeistert. Seitdem wird dort auf Touchscreens gezeichnet, virtuelle Musik gemacht und eben besonders gerne Videos geschaut.
Hoffnung auf robuste Geräte
Um Schaden an den Geräten zu vermeiden, wurden die iPads den Menschenaffen zunächst nur durch eine Plexiglasscheibe präsentiert. Später durften sie dann die Bildschirme mit ihren Fingern durch Maschendraht bedienen. Zoowärter hoffen nun, dass Computer-Designer vielleicht eines Tages einen robusteren Gerätetyp für kleine Kinder und Primaten entwickeln werden.
Schon seit 1994 erforscht der Smithsonian Zoo in Washington D.C. das Kommunikations-Talent von Orang-Utans, auch mit Hilfe von Computern. Dabei gelang es den Wissenschaftlern, eine 70 Symbole umfassende Zeichensprache zu entwickeln, mit deren Hilfe sie mit den Primaten kommunizieren können. Doch erst jetzt und dank der Möglichkeiten, die moderne Tablets bieten, entwickeln andere Zoos ähnliche Interessen.
Im Mai 2011 hörte die Gruppe „Orangutan Outreach“ von dem Erfolg in Milwaukee und bemüht sich seitdem, Tablet-Spenden auch für andere Zoos in Nordamerika zu finden. Die Initiative hat nach Angaben ihrer Gründer zwei Hauptziele. Zum Einen soll sie das öffentliche Interesse an den vom Aussterben bedrohten Orang-Utans erhöhen. Die Zerstörung des Regenwaldes in Malaysia und Indonesien und die Ausweitung von Palmöl-Plantagen gefährden die intelligenten Menschenaffen immer stärker. Zum Anderen sollen die Computer den Menschenaffen Abwechslung und Stimulation im oft eintönigen Alltags eines Zoos bieten.
So sieht es auch Trish Khan. Die beim Zoo von Milwaukee für Menschenaffen zuständige Biologin erlebt es immer wieder, wie die hoch intelligenten und kreativen Orang-Utans sich der Monotonie des Zoolebens ergeben, gelangweilt und depressiv werden. Die iPads seien fast eine Wunderwaffe gegen dieses Problem. „Ihre Welt ist wirklich sehr klein. Da bieten die iPads willkommene Abwechslung“, erläutert Khan. Richard Zimmerman will es den Primaten ermöglichen, ihren Spieltrieb voll auszuleben, „Bilder zu malen, Videos anzusehen – all das zu machen, was auch ein Kind mit der gleichen Neugier tun würde.“
Einblick in ein anderes Gehirn
Dabei profitieren nicht nur die Orang-Utans, sondern auch die Forscher vom Einzug der Computer in das Reich der Affen. Denn nach Einschätzung von Suzanne MacDonald, Biologin an der York-Universität im kanadischen Toronto, vermittelt dieser direkte Kontakt zwischen Tier und Maschine objektivere Resultate, als wenn der Mensch Ergebnisse interpretieren muss. „Wenn Orang-Utans die Computer direkt benutzen, können wir ihnen Fragen danach stellen, wie Dinge sich in der Wahrnehmung eines anderen Gehirns darstellen.“
MacDonald und ihre Kollegen erforschen am Zoo von Toronto zum Beispiel, ob Orang-Utans anhand von Fotos den Unterschied zwischen ihrer eigenen Art und Menschen oder Gorillas erkennen können. Sehtests stehen auf dem Programm, ebenso wie eine Untersuchung, ob die Affen unterschiedliche Musikgeschmäcker haben. Mit Hilfe der Tablets soll den Orang-Utans des Zoos Rock, Hip-Hop oder klassische Musik vorgespielt werden. Wenn die Primaten den jeweiligen Stil nicht mögen, können sie die Musik selbst ausschalten.
Konfliktlösung nach Affenart: Was die Menschen von den Bonobo-Affen (Zwergschimpansen) lernen könnten
Online-Dating geplant
Auch die Begeisterung der Orang-Utans für Online-Videos wollen sich die Forscher schon demnächst zunutze machen. „Sie lieben es, Videos von sich selbst oder von Artgenossen auf der anderen Seite des Geheges zu sehen. Deswegen wollen wir auch mehr Kameras installieren“, sagt Zimmerman.
Die an dem „Apps für Affen“-Programm beteiligten Zoos in Milwaukee, Toronto, Atlanta, Phoenix und Houston wollen dann sogar Online-Dates für Orang-Utans ermöglichen. Noch haben die Tiergärten dafür nicht genügend Tablets zur Verfügung, jedoch hofft Suzanne MacDonald auf mehr Spenden. Dann könne man über den gesamten amerikanischen Kontinent die Tiere mit Video-Chats wie Skype oder FaceTime einander vorstellen. Der praktische Nutzen: aufwendige Transporte im Rahmen der Zuchtprogramme der Zoos hätten größere Aussicht auf Erfolg, da die möglichen Paare vielleicht schon per Video Interesse für einander entwickelt haben. Noch fehlt der wissenschaftliche Beweis, dass dies möglich ist, aber MacDonald ist optimistisch: „Es wäre wirklich cool, wenn sie sich erst online treffen könnten, um festzustellen, ob sie sich vertragen oder voreinander Angst haben.“
Und dann könnte es vielleicht doch noch klappen mit dem Online-Dating für die 31- jährige MJ aus Milwaukee.
Fotos: © Scott Engel/Orangutan Outreach
© Pixel Trader Ltd. 2013 Alle Rechte vorbehalten