150 Jahre Opel in Rüsselsheim, demnächst 50 Jahre Opel in Bochum. Das alles war einmal eine Familiensaga – und jetzt bricht vieles weg. Die Meldung Mitte Dezember 2012 ließ im Westen der Republik viele den Atem stocken, obwohl es erwartet worden war: „Der defizitäre Hersteller Opel legt die Autoproduktion in Bochum im Jahr 2016 still. Bis zu 3000 Stellen könnten wegfallen…“. Ein böses Weihnachtsgeschenk des Besitzer General Motors aus den fernen USA. Aber mit diesem Hinweis zeigt sich zugleich, was mancher gar nicht realisieren möchte: Die alte „Adam Opel AG“ ist schon lange kein deutsches Familienunternehmen mehr. Weder in Bochum noch im Stammwerk Rüsselsheim. Aber die Menschen im Ruhrgebiet wie im Raum Rüsselsheim sind mit Opel nachgerade „verheiratet“. Umso tiefer sitzt der Schock angesichts einer aus den USA fremdbestimmten düsteren Zukunft.
Verwurzelungen über lange Jahrzehnte
Wie Unternehmungen, vor allem solche aus der so genannten Gründerzeit des 19. Jahrhunderts und aus der mit ihr einher gehenden Industrialisierung in Mitteleuropa, ganze Regionen nachhaltig geprägt haben, lässt sich aus mancherlei Namenskombinationen ableiten, die feste Begriffe geworden sind. Beispielsweise: Salamander – Kornwestheim, Henschel – Kassel, Leitz – Wetzlar, Müller – Wipperfürth… oder Opel – Rüsselsheim/Bochum. Hier sind über lange Generationen hinweg Verwurzelungen entstanden. Brechen sie weg, entsteht nicht nur materieller Schaden, es kommt vielmehr bei den Menschen, in den Regionen, häufig zu einem tief greifenden Identitätsverlust.
Der Minister absolvierte in Rüsselsheim die Lehre
Irgendwie haben die Menschen über lange Generationen hinweg eigentlich nie so richtig registrieren können oder wollen, dass „ihr Opel“ eigentlich schon seit 1929 gar nicht mehr „ihrer“ verehrten Familie Opel gehört, sondern dem amerikanischen Autogiganten General Motors (GM). Den Eindruck vermittelt nach wie vor auch der berühmteste lebende deutsche Opel-Werkzeugmacher, „Nobby“ Norbert Blüm, der spätere langjährige Bundesarbeitsminister – obwohl er es natürlich immer gewusst hat. Ab 1949 hat der 1935 in Rüsselsheim geborene Handwerker bei „Opels“ seine Lehre gemacht und dann dort bis 1957 gearbeitet. Er sieht die aktuellen Entwicklungen mit entsetzt-ungläubigem Blick.
Von der Nähmaschine zum Fahrrad
Wie Abertausende anderer „Opelaner“ derzeit auch. Viele in den früheren „Opel-Hochburgen“ sind mit dem Autobauer nachgerade verheiratet. Seit sich im Jahr 1862 der Rüsselsheimer Schlossersohn Adam Opel nach der berufsbedingten Wanderschaft als Mechaniker in seiner Heimat niederließ. Er eröffnete für seine zunächst mit einigem Misstrauen betrachteten Basteleien eine Werkstatt im alten Ortskern – er baute Nähmaschinen, die er auf der Wanderschaft in Paris kennen gelernt hatte. Das Geschäft florierte, und bereits 1869, also nur sieben Jahre später, wurde die Werkstatt im Ortskern zu eng. Adam Opel baute eine Fabrik – mit einer Dampfmaschine – an der Eisenbahnlinie und entwickelte die fabrikmäßige Produktion von Nähmaschinen. Dann versuchte er sich in der Produktion von Fahrrädern.
Die Söhne bauten dann Autos
Adam Opel starb 1895, seine fünf Söhne führten das Werk weiter und schufen Arbeitsplätze. Die Entwicklung blieb folgerichtig: Erst die Maschine mit einem Schwungrad, die Nähmaschine also, dann das Zweirad und schließlich, im Jahr 1899, verließ das erste vierrädrige Gefährt, ein „Motorwagen“, die Fabrik. Vier Jahre später wurde in Zusammenarbeit mit der französischen Firma Darraq eine größere Zahl von Autos gebaut. Die Serienproduktion kam ins Rollen. Die Brüder Wilhelm, Heinrich und Carl wurden gegen Ende des Ersten Weltkriegs in Darmstadt vom letzten Großherzog Ernst Ludwig in den großherzoglichen hessischen Adelsstand erhoben. 1929 schließlich verkauften sie die Adam Opel AG für 154 Millionen Reichsmark an General Motors. Das Werk machte letztmals 1985 richtige positive Schlagzeilen: Hier entwickelte sich die modernste Fertigungsanlage Europas.
Die Familie von Opel – Ruderer und Reiter
Opel und vor allem die Region Rüsselsheim: Familie und Firma haben hier allerorten prägend gewirkt: Das Opelbad in Wiesbaden ist ein gutes Beispiel, der Opel-Zoo bei Kronberg, ein Freigehege, nicht minder. Dass der zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts gegründete Fußballclub SC 06 Opel Rüsselsheim heißt, versteht sich von selbst. Der Rüsselsheimer Ruderklub trägt zwar nicht den Namen Opel, hatte dafür mit Georg von Opel nicht nur einen kräftigen Sponsor, sondern zugleich einen überragenden Athleten. Er siegte für diesen Verein zwischen 1928 und 1953 in 117 Ruderrennen. 1952, da war er schon 40 Jahre alt, unterlag er als Aktiver mit „seinem“ Achter bei der Olympiaausscheidung für Helsinki nur knapp dem Achter des RV Köln 1877. Er „erfand“ im Rudersport den liegenden Steuermann und tummelte sich auch in anderen Disziplinen. So fuhr er beispielsweise im Jahr 1951 fünf Automobilweltrekorde. Seine Frau Irmgard von Opel war ebenfalls sportliche Extraklasse. In den 1930er Jahren war sie wohl die weltbeste Military- und Springreiterin und gewann 1934 als erste Frau das deutsche Springderby. „Opels“ trugen den Namen Rüsselsheim auch in die weite Welt des Sports.
Es ist, auch in der Pleite, eine Familien-Saga.
© Pixel Trader Ltd. 2013 Alle Rechte vorbehalten