Mikrofinanzierungen wurden zeitweise als regelrechter Heilsbringer verehrt: Ganz ohne Wohltätigkeitscharakter sollten sie Menschen in Entwicklungsländern zu einem besseren Leben verhelfen. Das Prinzip sieht vor, dass mittellose Menschen durch Kleinstdarlehen in die Lage versetzt werden, ihren Lebensunterhalt selbst zu bestreiten.
In sehr armen Ländern kann ein Kredit von wenigen hundert dazu ausreichen, eine eigenständige Existenz aufzubauen. Exemplarische Beispiele dafür sind die Anschaffung einer Kuh zur Milchproduktion oder der Kauf von Stoffen und Nähmaschinen zur Eröffnung eines Textilgeschäfts. Das Modell der Mikrofinanzierung geht auf Muhamad Yunus zurück, der für seine Idee im Jahr 2006 mit dem Nobelpreis geehrt wurde.
Blasenbildung wie an den Finanzmärkten
Der Reiz der Idee liegt in der Kombination aus einem wirtschaftlichen Geschäftsmodell, das Kreditgebern attraktive Zinsen und armen Menschen ein besseres Leben verspricht. In ökonomischer Hinsicht ist diese Vorstellung durchaus nicht utopisch.
Schließlich setzt ein Mikrokredit im besten Fall an einer Stelle mit sehr hoher Grenzproduktivität an. Das bedeutet, dass im Idealfall bereits sehr bescheidene Geldmittel ausreichen, um eine erhebliche Wertschöpfung zu generieren, die bislang nur aufgrund des mangelnden Zugangs zu Geld nicht gehoben wurde.
In jüngster Zeit aber bekommt das Model Mikrofinanzierung Risse. Ein zentrales Problem sind die wachsenden Kreditausfälle. Immer mehr Kreditnehmer können ihren Verpflichtungen nicht mehr nachkommen. Das liegt auch daran, dass zu leichtfertig Kredite vergeben wurden.
Mit Mikrofinanzierungen lässt sich ein gutes Geschäft machen. Der mittlerweile an der Börse notierte größte indische Mikrofinanzierer SKS etwa verlangt im Schnitt mehr als 30 Prozent Zinsen. Das hat dazu geführt, dass viel Geld in das wachsende Segment geströmt ist. Die Aussicht auf überdurchschnittliche und weitgehend konjunkturunabhängige Zinsen hat viele Investoren gelockt. Mikrokredite werden mittlerweile von professionellen Vermögensverwaltern als Beimischung zum Portfolio empfohlen.
Schneeballsystem: Ein Kredit wird mit einem neuen getilgt
Insgesamt haben Investoren weltweit bereits 65 Mrd. Dollar in das Segment investiert. Damit wurde ganz offensichtlich die Absorptionsfähigkeit der Mikrofinanzierung überschritten. Das Ergebnis erinnert unangenehm deutlich an die Zustände auf dem „ersten“ Finanzmarkt: Durch den Druck zur raschen Kreditvergabe wurden Kreditnehmer und ihr Geschäftsmodell nicht mehr ausreichend geprüft. In einigen Regionen Indiens schultert jeder Haushalt 10 Mikrokredite. Es soll unter überschuldeten Bauern durch massiven Gläubigerdruck sogar zu einer Suizidwelle gekommen sein.
Ganz ähnlich wie bei Kreditblasen auf den regulären Finanzmärkten fiel die Schieflage zunächst nicht auf. Da ständig neues Geld in das Segment strömte, hatten Kreditnehmer laufend Zugriff auf neue Darlehen, mit denen sie andere ablösen konnten. In einigen Regionen Indiens wird offenbar nur noch ein Bruchteil der Kredite tatsächlich zurückbezahlt.
Ein zentrales Problem ist nach Ansicht von Fachleuten die mangelnde Regulierung des Mikrokreditmarktes. Weder Kreditnehmer noch Kreditgeber werden in verlässlicher Form registriert – ein Pendant zur deutschen Schufa gibt es in Indien nicht.
In Bosnien, wo eine ähnliche Entwicklung wie in Indien stattgefunden hat, gibt es mittlerweile eine bessere Regulierung, die nach Auffassung von Beobachtern erfolgversprechend ist. So können Kreditnehmer z. B. maximal drei Mikrokredite gleichzeitig nutzen. Solche und andere Maßnahmen könnten den Weg in eine besser regulierte Zukunft der Mikrofinanzierung weisen.
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