Den Alltag selbstständig bewältigen zu wollen ist auch für mobilitätseingeschränkte Menschen ein durchaus normaler Wunsch. In den eigenen Privaträumen ist das oft auch relativ einfach – mit den entsprechenden baulichen Veränderungen und Hilfsmitteln kommen viele gut zurecht. Die Freiheit hört aber oft vor der eigenen Haustür auf. Da gibt es Treppen, Stufen und andere schlecht oder kaum zu überwindende Hindernisse. Im eigenen Wohnviertel suchen sich daher Menschen, die Rollstühle oder Rollatoren benutzen oder auch Familien mit Kinderwagen ihre stufenlosen Nischen. Und wer die eingefahrenen Wege nicht verlässt, kommt auch meist ans Ziel.
Aber was ist, wenn man mal das angestammte Viertel verlassen will, vielleicht sogar die Stadt? Und das womöglich noch spontan und nicht nach stundenlanger Recherche über die Barrierefreiheit des Zielortes: Da stößt die Reisefreiheit schnell an ihre Grenzen. Oft ist es zwar noch möglich, mit eigenen Fahrzeugen oder öffentlichen Verkehrsmitteln weite Wege zu bestreiten, aber der Teufel steckt im Detail beziehungsweise in den letzten Metern. Hier entscheidet sich nämlich in der Regel, ob mobilitätseingeschränkte Menschen ihr Ziel erreichen oder eben auch nicht.
Mit Wheelmap kommt man ans Ziel
„Wenn es 1,6 Millionen Rollstuhlfahrer gibt, allein in Deutschland, dann heißt das doch, dass es auch 1,6 Millionen Menschen gibt, die rollstuhlgerechte Orte kennen.“ – diese einfache wie geniale Überlegung von Raul Krauthausen stand am Anfang eines ungewöhnlich hilfreichen Projektes. Auch für ihn ist es täglich Brot, permanent behindert zu werden. Er benutzt einen Rollstuhl und kennt daher die Probleme von Menschen, die auf Räder angewiesen sind. Jede Stufe wird zum Hindernis und Stufen gibt es viele.
Die Sozialhelden e.V. sind der richtige Ort, um seine bahnbrechende Idee in die Tat umzusetzen. In diesem Verein treffen sich Menschen mit Mut, Engagement und Überzeugung und tüfteln reihenweise Ideen aus, die einen staunen lassen – weil sie so naheliegend und im Grunde einfach sind. So entstand im Sommer 2010 die Wheelmap. Die auf OpenStreetMap basierende Karte ist eine freie und editierbare Variante der gesamten Weltdigitalen Open Source-Karte. Jeder kann auf ihr die Rollstuhlfähigkeit von Orten mit einem Ampelsystem bewerten. Grün wird immer dann vergeben, wenn man eine Institution wirklich ohne Hilfe erreichen und sich auch innerhalb der Räumlichkeiten frei bewegen kann. Das heißt, dass hier auch die Sanitärräume groß genug sind, um sie mit einem Rollstuhl zu befahren und dort auch wenden zu können. Orange wird dann vergeben, wenn einzelne Teile des bewerteten Ortes nicht zugänglich sind – meist sind das die Toiletten. Orte, die für mobilitätseingeschränkte Menschen nicht ohne fremde Hilfe zugänglich sind, werden rot gekennzeichnet. Alles, was grau ist, hat noch keine Bewertung bekommen.
Viele Menschen kennen viele Orte
Die bei Wheelmap eingetragenen Bewertungen stammen von Menschen, die wissen, ob ein Ort rollstuhlgerecht ist – weil sie dort waren und den Praxistest absolvierten. Deshalb ist die Karte auch recht aktuell. Sollte sich was ändern an den baulichen Bedingungen und der Karteneintrag nicht mehr stimmen, kann das gleich vom folgenden Besucher korrigiert werden.
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Wheelmap ist seit September 2010 im Internet verfügbar, seit Oktober 2011 gibt es eine Version für mobile Endgeräte. Anfang September 2012 waren bereits über 265.000 Orte markiert – meistens in Deutschland, der Schweiz und Österreich. Jeden Tag kommen ungefähr 200 Neueinträge hinzu. Wer einen eigenen Ort und dessen Rollstuhlfähigkeit bei Wheelmap kennzeichnen will, muss sich zunächst kostenlos im System registrieren. Um Orte abzufragen, braucht es diese aber nicht, jeder hat Zugriff auf die Daten.
Wheelmap gibt es im Moment in 18 Sprachen. Neben durchaus bekannten Varianten wie Deutsch, Englisch, Französisch und Spanisch, kann man sich auch Informationen auf Japanisch, Koreanisch und Klingonisch beschaffen – falls mal ein Star-Trek-Fan Barrierefreiheit braucht.
Finanziert wird das Projekt aus Preis-, Förder- und Spendengeldern, die Sozialhelden selbst arbeiten ehrenamtlich – und sind damit sehr erfolgreich. Nach dem „Deutschen Engagementpreis 2009“ und dem „Deutschen Bürgerpreis 2010“ gewannen sie Ende 2011 ihre erste große internationale Trophäe: Die Android App von Wheelmap bekam den „Vodafone Smart Accessibility Award“. Raul Krauthausen, Gründer und Kopf der Sozialhelden, hat mittlerweile fast alle Sozialpreise in Deutschland abgeräumt. Die Preisgelder stecken die Sozialhelden in neue Projekte – da wird es mit Sicherheit noch eine Menge hilfreicher Überraschungen geben.
Fotos: © Sozialhelden e.V.
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