Automatisch bremsen, die Spur halten und Gas geben – dank elektronischer Assistenzsysteme können das immer mehr Fahrzeuge. Bosch zeigt auf der A81 bei Abstatt, wie ein Auto komplett eigenständig lenkt und mit Tempo 120 überholt. Die etwas andere Probefahrt.
An diesem Morgen zickt das Versuchsauto. Mehrmals quakt es unwillig aus dem Laptop von der Rückbank – der Autopilot meldet, dass er nicht übernehmen will. Pardon, die Autopilotin: „Es ist eine Sie“, sagt Belèn Aranda Colàs, „sie hat ihren eigenen Kopf.“ Der will kurz darauf dann doch, quakt zustimmend, und Aranda Colàs, Produktmanagerin bei Bosch und stellvertretende Leiterin für automatisiertes Fahren, nimmt bei Tempo 120 die Hände vom Lenkrad und die Füße von den Pedalen.
Automatismus soll die Straßen sicher machen
Die Autopilotin von Bosch zeigt stellvertretend für die gesamte Branche, was autonom fahrende Autos heute leisten können: Problemlos chauffiert sie zehn Kilometer über die A81, überholt eigenständig mehrere Lkw und reiht sich anschließend wieder rechts ein. Dabei hält sich die elektronische Fahrerin exakt an Tempolimits und Sicherheitsabstände – einer der Hauptgründe, warum autonom fahrende Autos als Zukunftstrend gelten. Jährlich sterben weltweit mehr als eine Million Menschen in Verkehrsunfällen, überwiegend aufgrund von menschlichem Versagen. Werden bestimmte Funktionen automatisiert, gibt es weniger Unfälle, glauben Wissenschaftler. Zum Beispiel, weil Sensoren und Scanner Hindernisse schneller wahrnehmen, als es der Mensch vermag. Oder Autos irgendwann direkt miteinander und den Verkehrszeichen kommunizieren.
Allerdings ist dafür jede Menge Technik nötig. „Das Auto denkt und entscheidet selber auf Basis von Algorithmen“, sagt Aranda Colàs. Acht Radarsensoren blicken in alle Richtungen und messen die Abstände zu anderen Verkehrsteilnehmern. Eine Videokamera erkennt die Fahrspuren und den Verkehr in Fahrtrichtung. Der Laserscanner auf dem Dach prüft die Umgebung nach allen Seiten und gleicht die Daten mit denen anderer Sensoren ab. So weiß das System in jeder Sekunde, was um es herum passiert, und berechnet die Bewegungen der anderen Verkehrsteilnehmer. Die eigene Position übermittelt ein GPS-Empfänger, zudem ist der Straßenverlauf mitsamt Kurvenradien und Überholverboten im Rechner hinterlegt.
Das Ergebnis aller Berechnungen ist der Fahrstil eines Anfängers: Das Versuchsauto fährt so lange 120, bis der vorgeschriebene Abstand zum Vordermann unterschritten wird, dann bremst das System abrupt ab. Niemals würde die Autopilotin eine durchgezogene Linie kreuzen oder sich beim Überholen in eine Kolonne dicht aufeinanderfahrender Autos einschlängeln, um nicht von einem Laster ausgebremst zu werden. „Regelverstöße gibt es nicht“, sagt Aranda Colàs. Aber auch (noch) keinen flüssigen Fahrstil.
Bosch widmet sich seit zwei Jahren ernsthaft dem autonomen Fahren. Damals fragte sich der Konzern, ob sich eine solche Technologie durchsetzen könnte – und schickte die zickige Autopilotin in Abstatt sowie einen Zwilling in Kalifornien auf Probefahrt. Tausende Testkilometer später steht für Aranda Colàs fest: „Von der Technologie her kann man das machen, vom Gewinn an Lebensqualität her muss man das machen.“ Ziel von Bosch ist es, irgendwann ein System zu verkaufen, dass „sich jeder leisten kann und will“. Vielfahrer sollen sich damit im Stau entspannen, ältere Menschen dank der technischen Hilfe länger mobil bleiben.
Autobauer testen autonome Fahrzeuge
Mit ersten autonomen Fahrzeugen auf den Straßen rechnen Experten ab dem Jahr 2020, neben Zulieferern wie Bosch und Conti forschen daran fast alle Autobauer. Daimler hat seinen Autobahnpiloten Anfang des Jahres auf der A8 vorgeführt, Konkurrent BMW lässt seit 2011 ein Testfahrzeug autonom auf der A9 Richtung Nürnberg fahren. Bereits 2010 machte Audi von sich reden, indem ein Sportwagen des Autobauers bei einem Rennen in den Rocky Mountains ohne Eingriff des Fahrers ins Ziel fuhr. Audi-Chef Rupert Stadler hält „ein Serienautomobil mit pilotierter Fahrfunktion noch in diesem Jahrzehnt für technisch realisierbar“. Als Vordenker der Technologie gilt indes Google: Der US-Softwareriese unterhält die größte bekannte Flotte autonomer Versuchsautos.
Die ersten elektronischen Fahrhelfer befinden sich bereits im Straßeneinsatz: Die neue S-Klasse von Mercedes bremst, lenkt und beschleunigt selbstständig – allerdings nur im Stau. Bei Geschwindigkeiten über 60 Stundenkilometer funktioniert der Autopilot zwar auch, schaltet sich aber ab, wenn der Fahrer die Hände vom Lenkrad nimmt. Das ist Gesetzen geschuldet, wonach Autofahrer in Deutschland ihr Fahrzeug jederzeit unter Kontrolle haben müssen.
Darüber hinaus sind autonom fahrende Fahrzeuge nicht nur noch viel zu teuer, sondern auch gar nicht erwünscht: Laut einer Umfrage des US-Unternehmens Cisco würden sich nur vier von zehn Autofahrern in Deutschland komplett auf die Technik verlassen. Daimler ist bei Tests im Fahrsimulator ebenfalls auf anfängliche Skepsis gestoßen – Teilnehmer fürchteten neben der Störanfälligkeit des Systems zu viel Verantwortung abgeben zu müssen. „Deshalb macht es Sinn, autonomes Fahren schrittweise einzuführen und so die Akzeptanz für die Technik zu erhöhen“, sagt eine Daimler-Sprecherin.
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Nach Stau-Assistenten wie in der S-Klasse kommen laut Bosch in ein paar Jahren Systeme auf den Markt, die auch bei Tempo 130 eigenständig bremsen, lenken und die Spur halten. Erst in der letzten Stufe, dem voll automatisierten Fahren, überholt das Auto selbstständig. Zunächst wird es solche Hilfen nur für Autobahnfahrten geben, da dort weder Fußgänger, Fahrräder noch Gegenverkehr die Arbeit der Sensoren erschweren. Forscher der Uni Ulm testen aber schon heute das autonome Fahren in der Stadt.
Neben technischen Verbesserungen treiben die Entwickler Haftungsfragen um. Was passiert, wenn ein automatisch gesteuertes Fahrzeug einen Unfall baut? Wer versichert solche Autos? Und vor allem: Wie müssen die Gesetze angepasst werden, damit autonomes Fahren in Deutschland möglich wird? Bis alle Hürden aus dem Weg geräumt und das Straßennetz großflächig in den Gehirnen selbstfahrender Autos hinterlegt sind, vergehen Jahre. Auch dann dürfe „der Autofahrer aber nie das Gefühl haben, er wird vom System überstimmt. Die Freude am Fahren muss bleiben.“
Sagt Bosch-Managerin Aranda Colàs und nimmt ihrer Autopilotin prompt auf der Überholspur die Steuerung weg. Zwar ist das System in einer Lücke ausgeschert, die groß genug war. Der Hintermann nähert sich aber so zügig, dass alle Insassen aufatmen, als die echte Fahrerin mit einem beherzten Tritt aufs Gas den Abstand wieder vergrößert. In dieser Situation hat der Mensch, nicht die Maschine, einen Unfall verhindert.
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