Für die Deutschen hat er ein Sommermärchen jäh beendet – für sich selbst hat er eines geschrieben. Der 21 Jahre alte Mario Bolatelli, Sohn ghanesischer Eltern, aufgewachsen bei italienischen Pflegeltern, von Rassisten stets geschmäht, niedergemacht – er hat mit zwei Toren die Squadra Azzurra ins Finale der Fußball-Europameisterschaft geschossen. Und als am 29. Juni 2012 das Spiel gegen die deutsche Auswahl mit 2:1 gewonnen war, da eilte der dunkelhäutige Athlet an den Spielfeldrand und umarmte eine kleine, grauhaarige Frau. Die Pflegemutter aus der Nähe von Brescia. Und die Zuschauer auf den Rängen intonierten jenes „Viva la Mamma“ des Rocksängers Edoardo aus dem neapolitanischen Vorort Bagnoli.
Ein Buhmann – der neue Held der Italiener
Der Alptraum ist keine zwei Jahre alt. Er mag sich erinnern, viele Italiener wollen es jetzt vergessen machen: Vor zwei Jahren, in den Apriltagen des Jahres 2010, mochte sich Mario Balotelli ein wenig gegrämt haben, dass er das Angebot des Fußballverbandes von Ghana ausgeschlagen hatte, die Staatsangehörigkeit seines ehemaligen Heimatlandes beizubehalten und dort in der Nationalmannschaft Karriere zu machen. Doch er war im Jahr 2009, mit 18 Jahren, Italiener und zu einem filigranen Fußballer bei Inter Mailand geworden – seinerzeit mit der Aussicht auf die Nationalelf. Am 24. April 2010 aber wurde er aus dem Inter-Team gestrichen; für das Punktspiel gegen Atalanta Bergamo und zunächst auch für das drei Tage später anstehende Rückspiel in der Champions League beim FC Barcelona. Der dunkelhäutige Mario war Opfer ausländerfeindlichen Mobbings geworden – dem er sich zum Schluss nicht anders zu erwehren wusste, als genervt und schließlich auch aggressiv, jedenfalls mit rüden Worten und Gesten zu reagieren.
Balotelli durfte mit nach Spanien fliegen
24 Stunden vor dem Anpfiff des Champions-League-Rückspiels in Barcelona allerdings erfuhr der Spieler von der Vereinsführung und vom Trainer eine halbe Begnadigung. Balotelli wurde in den allerdings 25 Spieler starken Kader wieder aufgenommen, der die Reise nach Spanien antrat; allerdings mit der Einschränkung von Vereinspräsident Moratti, er glaube kaum, daß der damals 19jährige auch zum Einsatz komme. Denn er und Trainer Jose Mourinho gingen fest davon aus, daß stattdessen der beim Spiel gegen Atalanta Bergamo verletzte Niederländer Wesley Sneiijder in Barcelona rechtzeitig wieder fit werde und auflaufen könne.
Dem Druck und Frust nicht stand gehalten
Fußball und Rassismus, diese Kombination hat in Italien seit Jahren Saison. Und darein war Balotelli geraten. Da mochte er, der schon mit 18 bei Inter Mailand Karriere machte, noch so schön und druckvoll spielen, wichtige Tore schießen – die Nordkurve, also die eigenen tifosi, pfiffen ihn aus. Nicht wegen seines Spiels, sondern wegen der Hautfarbe. Und der Spieler hat dem Druck und Frust lange nicht stand halten können. Besonnene Mitspieler sagen, eigentlich sei er noch ein Kind (un bambino), er brauche Schutz. Aber Inter brauchte die Nordkurve.
Das Inter-Trikot zu Boden geworfen
Als Inter-Präsident Moratti dem jungen Spieler am 23. April 2010, 24 Stunden vor dem Punktspiel daheim gegen Bergamo, am Telefon die Mitteilung machte, er sei suspendiert, da hatte er offenbar auch ein Plakat der in der „Curva Nord“ heimischen Ultras im Hinterkopf: „Du existierst für uns nicht mehr, lieber Mario, und so sagen wir auf Wiedersehen“. Das hatten sie nach dem Spiel gegen den FC Barcelona gemalt, hoch gehalten und gezeigt, nachdem Balotelli, genervt von den Pfeifkonzerten, sich das Inter-Trikot vom Leibe gerissen und zu Boden geworfen hatte.
Böse Gerüchte um Wechsel zum AC Milan
Der junge dunkelhäutige Spieler konnte offenbar machen, was er wollte, das Mobbing verfolgte ihn wie eine Art Selbstläufer. Die Ultras von den Inter-Rängen hatten ihr Vergnügen daran, und die Tifosi anderer Fußballclubs machten es nach: Ob bei Juve in Turin, in Chievo Verona. Anti-Balotelli-Sprechchöre dienten als beliebtes Ventil. Dann setzte eine Boulevard-Sportzeitung das Gerücht in die Welt, der Spieler wolle zum Inter-Rivalen AC Milan wechseln. Es wäre zwar eine Art Selbstmord gewesen, aber viele Mailänder glaubten daran. Er ging stattdessen auf die Insel, zu Manchester City.
Mit 18 Jahren erst Italiener geworden
Der junge Spieler hat eine nicht leichte Jugend – aus der er offenbar lange nicht herausgewachsen war – hinter sich. Er wurde als Sohn ghanaischer Immigranten in Italien geboren. Im Jahr 1993 wurde Mario der Obhut einer Familie Balotelli aus Concesio in der Provinz Brescia anvertraut, bei der er aufwuchs. Da er jedoch nicht adoptiert wurde, blieb ihm die italienische Staatsbürgerschaft zunächst verwehrt. Die konnte er erst auf eigenen Antrag mit der Vollendung des 18. Lebensjahres erwerben. Somit ist er seit dem 12. August 2008 Italiener. Ein italienischer Fußballer also, dem in den Stadien Affengeheul von den Rängen entgegenschlug, der mit Bananen beworfen wurde, dessen Berufung in die Nationalelf von den italienischen Neofaschisten und der Lega Nord als Provokation empfunden wurde. Am 30. Juni 2012 schwiegen sie alle.
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