Es war ein mittelgroßes, politisches Erdbeben, das die deutsche Hauptstadt Mitte Mai erschütterte. Auf einer Intensitätsskala von eins bis zehn dürfte die unangekündigte Entlassung Norbert Röttgens und die Ernennung Peter Altmaiers als Umweltminister eine veritable 6,5 erreicht haben.
Rückblick
Dabei begann die Woche zunächst wie so viele im politischen Berlin: Während der Bundestag eine sitzungsfreie Woche einlegte, empfing Bundeskanzlerin Angela Merkel am Dienstagabend den neugewählten französischen Präsidenten Hollande. Am Mittwochmorgen folgte um halb zehn die turnusmäßige Kabinettssitzung im Kanzleramt. Pünktlich um zwölf Uhr traf Merkel dann an gleicher Stelle auf den afghanischen Staatspräsidenten Hamid Karsai. Bis dahin ist er das Topereignis der Hauptstadt an diesem Tag: Die massive Polizeipräsenz zwischen dem Kanzleramt und dem Hotel Adlon am Brandenburger Tor ist unübersehbar. Großzügig dimensionierte Polizeiabsperrungen halten Neugierige und potentielle Attentäter von Präsident Karsai fern. In der Luft kreist ein Polizeihubschrauber, der die Fahrzeugkolonne vom Kanzleramt zum Hotel Adlon begleitet. Immerhin eine Strecke von ganzen 1200 Metern, die die gepanzerten Fahrzeuge inklusive Delegation und Begleitpresse zu absolvieren haben.
Während Präsident Karsai im Adlon mit Außenminister Westerwelle und Entwicklungsminister Niebel spricht, erhalten die akkreditierten Journalisten der Hauptstadtpresse um 15:28 Uhr eine SMS: „16:30 Uhr Statement BKin Merkel, BKamt Blaue Wand, Einlass ab 15:45 Uhr“ steht da zu lesen. Zugegeben, kurzfristige Terminierungen von Presseansprachen kommen im politischen Berlin immer wieder vor. Die Ankündigung einer Pressekonferenz eine gute dreiviertel Stunde vor dem Start ist dann allerdings doch eher selten. Zuletzt war die Präsentation des Kandidaten Gauck für die Bundespräsidentenwahl Ende Februar ähnlich knapp terminiert. Die ersten Journalisten und Kameraleute verlassen stante pede das Adlon, brechen die Dokumentation des Karsai-Besuchs in Deutschland an dieser Stelle ab. „Was will die Kanzlerin uns wohl sagen?“ rätseln einige. Andere sagen nur drei Worte „Rücktritt Röttgen, oder?“.
Auswechslung: Röttgen raus, Altmaier rein
Und so ist es, fast jedenfalls. Die Kanzlerin erklärt in einer rekordverdächtigen Redezeit von nur einer Minute und 37 Sekunden die Karriere Röttgens als Umweltminister für beendet. Sie selbst begehrte offenbar Röttgens Entbindung von dessen Aufgaben und hatte diese bereits am Vormittag dem Bundespräsidenten vorgeschlagen. Von einem klassischen Rücktritt des ehemaligen Kandidaten für das Amt des NRW-Ministerpräsidenten keine Spur. Der Dank an den Rheinländer Röttgen beschränkt sich auf knappe drei Sätze. Dann fährt Merkel fort, das Bundesumweltministerium spiele eine wichtige Rolle bei der Umsetzung der Energiewende und diese erfordere noch große Anstrengungen. Daher schlägt die Bundeskanzlerin den Ersten Parlamentarischen Geschäftsführer der CDU/CSU, Peter Altmaier, als neuen Bundesumweltminister vor. Man kenne sich lange und schätze sich. Dann verlässt Merkel das Rednerpult vor der „Blauen Wand“.
Mit dem Ende der Pressekonferenz setzt sich die Personalie Röttgen-Altmaier auf Platz 1 der Prioritätenliste der Nachrichten an diesem Mittwoch. Mit dem „Neuen“, Peter Altmaier, hebt Bundeskanzlerin Angela Merkel einen Mann in das Ministeramt, der sowohl fraktions- und parteiintern, aber auch weit darüber hinaus ein hohes Ansehen genießt. Altmaier gilt in Berlin als ebenso klassischer wie erfolgreicher Strippenzieher und Mehrheitenbeschaffer. Er ist es, der im Vorfeld der Abstimmungen über den Euro-Rettungsschirm Unions-Abweichler in seine groß dimensionierte Charlottenburger Wohnung einlud, bekochte und dabei durchaus kulinarisch sowie offenbar auch inhaltlich überzeugen konnte.
Vor Mikrofonen und den bisweilen auftretenden, insistierenden Nachfragen einiger Berliner Journalisten hat Altmaier keine Scheu oder gar Angst. Im Gegenteil: Nach Röttgens Wahl-Debakel war er das einzige, politische Schwergewicht, dass das Konrad-Adenauer-Haus der CDU am Montagmorgen durch den Vordereingang betrat, anstatt sich im Auto an den Journalisten vorbei in die Garage der CDU-Parteizentrale fahren zu lassen. Mehr noch: Der Merkel-Vertraute strampelte an diesem Tag sogar mit dem Fahrrad zur Präsidiumssitzung. Eine Vorahnung oder wusste Altmaier zu diesem Zeitpunkt längst, dass er der neue Mann im Bundesumweltministerium werden würde?
Der Saarländer Altmaier war als gelernter Volljurist Justiziar der Fraktion, außerdem Parlamentarischer Staatssekretär unter dem damaligen Innenminister Wolfgang Schäuble. Zuvor arbeitete Altmaier mehrere Jahre für die Europäische Kommission in Brüssel. Seine Aufgaben als Umweltminister liegen ab jetzt vor allem beim Topthema „Energiewende“ und in der Suche nach einem geeigneten Atommüllendlager. Gleichzeitig wird Altmaier sich auch um die Solarenergie kümmern müssen.
Mit den „grünen“ Themen sammelte der 53-jährige schon vor Jahren intensive Erfahrungen und sammelte gute Kontakte. So gehörte er zur so genannten „Pizza.Connection“, einem schwarz-grünen Gesprächskreis junger Abgeordneter, der sich in den 90er Jahren regelmäßig im italienischen Restaurant „Sassella“ in Bonn traf. Cem Özdemir und Volker Beck waren genauso wie Hermann Gröhe und auch Norbert Röttgen Mitglied der Gruppierung.
Viel Zeit, die anstehenden Probleme der Umwelt anzugehen hat der neue Minister Altmaier jetzt nicht mehr: Bis zur Bundestagswahl m Herbst 2013 sind es noch knapp 17 Monate.
Welche Themen und Projekte Peter Altmaier als Minister ab sofort auch anpacken oder abschließen wird: Die Bürger und insbesondere die Netzgemeinde werden wohl sehr unmittelbar davon erfahren. Altmaier schätzt den Kurznachrichtendienst „Twitter“ und nutzt ihn ausgiebig. Die Anzahl seiner abgesetzten Nachrichten (sog. „Tweets“) ist hoch und hält die Politikinteressierten ständig auf dem Laufenden.
Auch nach zwei Wochen im Amt: Gute Laune trotz Terminstress
Daran hat sich bis heute, genau zwei Wochen nach dem Amtsantritt Altmaiers im Umweltministerium in der Stresemannstraße 128-130 in Berlin nichts geändert. Der Terminkalender des neuen Ministers ist voll, die Anzahl der Medienanfragen nach Interviews, Gesprächen und dergleichen mehr hat die Grenze der Dreistelligkeit längst überschritten. Und der 53-jährige Saarländer eilt in professioneller Effizienz – aber dennoch gut gelaunt – von Termin zu Termin. Es ist die „Woche der Umwelt“, das bedeutet: Dienstagmorgen um 10 Uhr hält Altmaier im Wirtschaftsministerium des Kabinettskollegen Rösler eine Rede zur „Integration der erneuerbaren Energien“. Um 11 Uhr nimmt der neue Minister im Schloss Bellevue an der Eröffnung der inzwischen 4. Woche der Umwelt durch den Bundespräsidenten Gauck teil. Anschließend um 11:30 Uhr folgt ein Rundgang durch das Ausstellungsgelände im Schlossgarten. Dieser nimmt mehr Zeit in Anspruch als ursprünglich gedacht.
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Zum nächsten Termin, der Jahrestagung und Preisverleihung des „Bundesdeutschen Arbeitskreises für Umweltbewusstes Management“ (B.A.U.M. e.V.) kommt Altmaier daher etwas zu spät. Die anwesenden Gäste, die die Haupstadtrepräsentanz der Deutschen Telekom als Tagungsort ausgewählt haben, sehen es dem Minister nach. Der Saarländer tritt auf, sprüht quasi vor guter Laune. Es macht Spaß, ihm zuzuhören. Er wolle der „Cheflobbyist der Energieeffizienz“ sein, sagt er. Als der B.A.U.M. e.V. dem Minister ein kleines Flusspferd, einen „Hippo“, überreicht , sagt er mit einer gehörigen Portion Selbstironie: „Das ist das erste Mal, dass ein Hippo einen Hippo bekommt“. Die Tatsache, dass Altmaier sich persönlich offenbar nicht zu Ernst nimmt, kommt beim Publikum des B.A.U.M e.V. gut an, es applaudiert und ist genauso erheitert wie Altmaier selbst über den Vergleich. Nach der Veranstaltung steht der Minister trotz aller Zeitknappheit durchaus noch ein paar Minuten für kurze, persönliche Gespräche zur Verfügung. Viele nehmen die Gelegenheit wahr, und tragen dem Minister ihre Wünsche zur Energiewende vor oder stellen Fragen und machen Fotos.
Und flugs geht es weiter zum nächsten Termin: „Meine Kanzlerin“ wie Peter Altmaier seine Kabinettschefin zu nennen pflegt, warte im Schloss Meseberg. Im Gästehaus der Bundesregierung nördlich von Berlin findet ab 15 Uhr das „3. Gespräch der Bundeskanzlerin mit den Sozialpartnern und Wissenschaftlern“ statt. Neben Merkel und Altmaier sind auch Wirtschaftsminister Rösler, DIHK-Präsident Driftmann und DGB-Chef Sommer im südlichen Brandenburg vor Ort. Von Ruhe oder gar Besinnlichkeit, die eine umfassende Einarbeitung in ein neues Politikressort üblicherweise erfordert, keine Spur. Dennoch: Zumindest bislang vermittelt Altmaier den Eindruck, Herr des Geschehens und die Ruhe selbst zu sein.
Fotos: © ET-Media, Berlin
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