Gespräch mit Eugenia Timoschenko, Tochter der inhaftierten, ehemaligen Ministerpräsidentin der Ukraine, Julia Timoschenko.
Frage: Zunächst einmal fragen viele Journalisten Sie aktuell ausschließlich nach dem Wohlbefinden Ihrer in der Ukraine inhaftierten Mutter. Ich möchte damit beginnen, Sie zu fragen, wie es Ihnen selbst geht.
Timoschenko: Wissen Sie, meine Gefühle hinsichtlich der Situation in der Ukraine sind in der Tat unterschiedlich. Auf der einen Seite erlebe ich aufgrund der Unterstützung, die meiner Mutter rund um den Globus zuteil wird, viele gute Momente. Und solange diese Gefühle überwiegen, bin ich glücklich und merke, dass unser Kampf zu einem Ende kommen wird. Aber wenn dann am nächsten Tag zum Beispiel der Vize Generalstaatsanwalt – der von der Partei des Präsidenten finanziert wird – hergeht und in ganz Europa ohne jeden Beweis erklärt, meine Mutter sei eine Mörderin, dann fühle ich mich sehr bestürzt und traurig. Denn dann sehe ich, dass es tatsächlichen keinen berechenbaren Weg gibt, der aus der Situation herausführt, und dass sich meine Mutter –genau wie einige andere Gefängnisinsassen – in akuter Lebensgefahr befindet und ihre Gesundheit massiv gefährdet ist. Und diese gefährliche Situation wird jeden Tag schlimmer.
Frage: Ihre Mutter wurde ja zu einer Gefängnisstrafe von sieben Jahren verurteilt. Einige Minister ihres Kabinetts hat eine vergleichbare Strafe getroffen. Experten kritisieren die zugrundeliegenden Strafprozesse als politisch motiviert. Wie würden Sie das Rechtssystem der Ukraine beschreiben?
Timoschenko: Das Rechtssystem der Ukraine ist sehr unausgereift. Und jetzt können wir klar sehen, dass das Rechtssystem nach dem Belieben jener Leute manipuliert wurde, die das Recht dazu benutzen wollen, ihre Opposition zu verfolgen. Und in der Tat: Nach den zahlreichen Reformversprechen, die Janukowitsch und seine Regierung in der Vergangenheit immer wieder gegeben haben, müssen wir leider den gegenteiligen Effekt feststellen. Wir sehen, dass die Rechtsprechung den Ermittlungsbehörden, dem Geheimdienst SBU und dem Amt des Präsidenten untergeordnet wird. Wir müssen feststellen, dass Richter keine Möglichkeit haben, eigenständige Entscheidungen zu fällen und dementsprechend unter Druck gesetzt werden.
Zudem nimmt das Strafverfahrensrecht, für das die Präsidentenmehrheit gestimmt hat, den Menschen der Ukraine schon die geringsten Rechte. So haben die Bürger zum Beispiel keinen angemessenen Zugang zu einem Rechtsanwalt. Ein Verteidiger hat darüber hinaus nicht die gleiche Macht wie eine Ermittlungsbehörde bzw. Staatsanwaltschaft, sofern ihm das Gericht diese nicht zuspricht. Daneben gibt es noch viele andere Punkte, insbesondere die Ausstattung des SBU mit Rechten einer Art Strafbehörde, derer sich keiner entziehen kann. Wenn man auf dem Radar des SBU erscheint, bedeutet dies, man eingesperrt werden kann oder noch schlimmere Strafen erhält.
Frage: Wann hatten Sie zuletzt Kontakt mit Ihrer Mutter, und wie sieht dieser aus: Können Sie sie anrufen oder treffen, wie kommen Sie zusammen?
Timoschenko: Die einzige Sache, die ich tun kann, ist, sie als öffentlicher Verteidiger zu treffen und nicht als Tochter oder Familienangehöriger. Es gibt nur ganz wenige Menschen, die sie treffen können. Ihre politischen Freunde und die Mitglieder des Parlamentes bekommen keine Erlaubnis, sie zu sehen. Und das, obwohl dies gesetzlich erlaubt wäre. Also sehen wir sie nur als Verteidiger. That’s it. Meine Mutter hat keine Möglichkeit Telefonanrufe vorzunehmen, da sie nicht in der Lage ist, eigenständig zu laufen und zum Telefon zu gehen. Die Bediensteten helfen Ihr nicht, an ein Telefon zu gelangen. Sie sagen zu ihr: „Wenn Sie Ihre Familie anrufen wollen, dann gehen Sie doch zum Telefon. Wenn Sie das nicht tun, werden wir Ihnen auch kein Telefon bringen.“ Das ist ein kompletter Verstoß gegen die Menschenrechte. Und natürlich bekommt Sie jede Menge Druck zu spüren und auch Stress. Unter dem Stress wird ihre gesundheitliche Verfassung offensichtlich immer schlimmer.
Frage: Lassen Sie mich noch etwas konkreter nachfragen: Wie schlimm ist der Gesundheitszustand Ihrer Mutter im Augenblick?
Timoschenko: Sie ist jetzt schon seit fünf Monaten nicht mehr in der lange zu gehen und muss im Bett liegen. Ihr Rücken schmerzt außerordentlich stark aufgrund der neurologischen Schmerzen. Die Ärzte im Gefängnis weigern sich, meiner Mutter Schmerzmittel zu geben, um sicher zu stellen, dass sie noch mehr unter Stress gerät, um Ihren Willen brechen zu können. Aber dennoch ist sie mehr oder weniger eine starke Frau. Natürlich möchte Sie weiter kämpfen ihre politische Karriere fortsetzen.
Frage: Können Sie sagen, wie die Menschen im Gefängnis sich gegenüber Ihrer Mutter verhalten?
Timoschenko: Ja, sie hat eine Zellennachbarin, die versucht, ihr zu helfen. Wir wissen nichts Genaues über Ihren Status im Gefängnis, offensichtlich hat sie einen besonderen Status. Grundsätzlich kann man sagen, dass die Leute im Gefängnis sie unterstützen. Aber es gibt auch gewisse Leute, wie etwa den Hauptarzt der Strafkolonie, der sagt, dass meine Mutter gesund genug ist und damit auch vernehmungs- und prozessfähig. Das ist kein Doktor, das ist jemand, der den ärztlichen Eid missachtet und einfach Lügen unterschreibt.
Frage: Sie sprechen ja gerade mit mir als westeuropäischem Journalisten. Haben Sie keine Angst, dass Ihre Mutter für die Antworten, die Sie in diesem Gespräch geben, bestraft werden könnte?
Timoschenko: Sehen Sie, ich denke, noch schlimmer kann die Situation jetzt nicht mehr werden. Meine Mutter ist in akuter Lebensgefahr. Und ich kann Ihre Frage nachvollziehen, aber wir haben keine Zeit mehr, um still zu sein. Wir müssen jetzt auch nicht mehr nur reden, wir müssen herausschreien, was in der Ukraine vor sich geht! Jeden Tag werden mehr und mehr Leute verfolgt, wir müssen daher aufstehen!
Frage: Was würden Sie sagen, was kann die europäische Union und was kann Deutschland tun, um Ihrer Mutter und den anderen, aus ähnlichen Gründen in der Ukraine inhaftierten Menschen zu helfen?
Timoschenko: Wissen Sie, es wird jetzt Zeit: Wir erleben jetzt schon zwei Jahre der Verfolgung. Und es gibt keinerlei sichtbare Veränderung in den Verhaltensmustern der Regierung beziehungsweise in der Staatsmaschinerie überhaupt. Daher meinen wir, den Leuten sollte der Status eines poltischen Gefangenen gegeben werden. Es muss Sanktionen geben. Nicht gegen die Ukraine, aber gegen die Leute, die die Repressalien verursachen. Jemand sollte sich deren Korruptionsaktivitäten anschauen, zum Beispiel in Bezug auf die Fußball-Europameisterschaft Euro 2012, wenn da zum Beispiel Bauprojekte auf einmal einen um 100% höheren Preis aufweisen als zuvor, der ganz offensichtlich in die Taschen jener Leute geht. Aber es scheint so, dass vielleicht die Europäische Union oder überhaupt die demokratische Welt irgendwie nicht machtvoll genug ist, solche Sanktionen zu erlassen. Aber wir hoffen wirklich, dass zumindest eine Art solcher Aktivitäten passieren werden, denn Janukowitsch und seine Leute werden jedenfalls nicht gewillt sein, ihre Macht abzugeben und aufzugeben.
Frage: Könnte insbesondere Deutschland mehr tun?
Timoschenko: Nein, ich denke, Deutschland tut alles, was es tun kann und auch alle anderen tun, was in ihrer Macht steht. Wir sind allen sehr dankbar. Wir laufen Gefahr, dass die Ukraine der Welt als demokratischer Staat verloren geht, nach den schlimmsten und schmutzigsten Parlamentswahlen, die das Land bislang gesehen hat. Alle Oppositionspolitiker sprechen darüber und warnen insbesondere die Europäische Union, dass diese an ihrer Grenze bald einen autoritären Staat haben wird. Lasst uns so schnell wie möglich etwas dagegen tun.
Frage: Letzte Frage, Frau Timoschenko. Glauben Sie, Ihre Mutter wird die Möglichkeit haben, nach Deutschland auszureisen, um sich in dem Berliner Krankenhaus „Charité“ behandeln zu lassen?
Timoschenko: Das hoffe ich wirklich, meiner Mutter zuliebe als Familienmitglied. Ich denke nicht an ihre poltische Karriere. Denn für mich steht ihr Leben an erster Stelle und erst dann kommt die Politik.
Fotos: © Frank M. Wagner, ET-Media
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