In all den Irritationen um Bundespräsident Wulff taucht verstärkt die Frage auf: Brauchen wir das Amt eigentlich? Wirklich wichtige Kompetenzen hat das Amt, das der Publizist Johannes Groß einmal eine Spitze nannte, „auf die nichts zuläuft“, in der Tat nicht. Und die Situationen, in denen ihm in der Geschichte der Bundesrepublik eine politisch (mit)entscheidende Rolle zugefallen ist, lassen sich an den Fingern einer Hand abzählen. Trotzdem: Einen gewichtigen Part haben sie fast immer gespielt, und wenn man an die Resonanz denkt, die beispielsweise Richard von Weizsäcker, Roman Herzog oder Johannes Rau gefunden haben, könnte man leicht den Eindruck gewinnen, die Bedeutung des Amtes nehme eher zu.
Höchst unterschiedlich waren bislang die Charaktere, die seit 1949 von den Delegierten der Bundesversammlung ins höchste Staatsamt geschickt wurden:
Theodor Heuss (FDP)
brachte das Amt des Bundespräsidenten zu großem Ansehen. Der Professor war ein Glücksfall für die gerade geborene Bundesrepublik. Er knüpfte an die geistigen, politischen und demokratischen Traditionen an, die in Deutschland vom Nationalsozialismus unterbrochen worden waren. Seine Stärken waren die Fähigkeit zur Integration, zur Ermutigung, zur Nachdenklichkeit. Bei der Bevölkerung war „Papa Heuss“ sehr beliebt. Ärger verschaffte er sich, als er die Besichtigung einer Einheit der noch jungen Bundeswehr schwäbisch-spöttelnd mit den Worten beschloss: „Nun siegt mal schön“.
Heinrich Lübke (CDU)
war ein Kompromisskandidat, nachdem Bundeskanzler Konrad Adenauer sein Vorhaben, 1959 selbst Bundespräsident zu werden, wieder aufgegeben hatte. Lübke befürwortete die große Koalition und wurde mit Unterstützung der SPD 1964 für eine zweite Amtszeit wieder gewählt. In seinen letzten Amtsjahren litt die Amtsführung indessen unter seiner zunehmenden Altersschwäche; Stütze wurde ihm zunehmend seine energische Frau Wilhelmine. Er musste sich zusätzlich des Vorwurfs erwehren, bei der Planung von Bauten für Konzentrationslager mitgewirkt zu haben.
Gustav Heinemann (SPD)
war nach Kriegsende zunächst Mitglied der CDU, gründete dann die Gesamtdeutsche Volkspartei und wurde 1957 SPD-Mitglied. Der langjährige Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland verstand sich als Bürgerpräsident. Er widmete seine Amtszeit vor allem der weiteren Aussöhnung zwischen den Deutschen und ihren Nachbarn sowie der Eingliederung gesellschaftlicher Randgruppen. Ihm war Deutschland „ein schwieriges Vaterland“. Berühmt wurde sein Wort: „Ich liebe nicht den Staat, ich liebe meine Frau“.
Walter Scheel (FDP)
setzte die Jovialität des Rheinländers geschickt für politische Arbeit ein. Dabei half ihm eine große Ausstrahlung. Fast jedermann goutierte, dass er sich nicht zu schade war, auch als Sänger – „Hoch auf dem gelben Wagen“ – Furore zu machen und einen Hit zu landen. Er war insgesamt ein kluger politischer Stratege. Das hatte er bereits bewiesen, als er mit Willy Brandt 1969 den Coup zur Bildung der der sozial-liberalen Bundesregierung landete.
Karl Carstens (CDU)
war anders als sein volkstümlicher rheinischer Vorgänger Scheel ein spröder Norddeutscher. Er führte das Amt so, wie er war: kühl. Dabei allerdings scheute er nie die direkte Nähe zur Bevölkerung: Mit seiner Frau unternahm er viele Wanderungen durch deutsche Landschaften. Karl Carstens war insgesamt ein Konservativer bis auf die Knochen.
Richard von Weizsäcker (CDU)
prägte die politische Debatte in Deutschland durch seine eindrucksvollen Reden. Er war stets souverän, was ein Glücksfall besonders auch deshalb war, weil seine zweifache Amtszeit in die Zeit der deutschen Vereinigung fiel. Er war kein volkstümlicher, aber ein sehr beliebter und geachteter Präsident. Stark beachtet – auch im Ausland – war seine Rede zum 40. Jahrestag der deutschen Kapitulation von 1945, als er beeindruckend Schuld und geschichtlichen Auftrag der Deutschen beschrieb.
Roman Herzog (CDU)
wurde anfangs als Verlegenheitskandidat bezeichnet, weil er erst nach dem Rückzug des ostdeutschen CDU-Kandidaten Steffen Heitmann zum Zuge kam, der nach umstrittenen Äußerungen seinen Verzicht erklärt hatte. Aber Herzog verschaffte sich dank seiner direkten und unprätentiösen Art bald Respekt und Anerkennung. Beispiel war seine „Ruck-Rede“, in der er 1997 die Deutschen aufforderte, weniger zu jammern und statt dessen aktiv ihre Zukunft zu gestalten.
Johannes Rau (SPD)
fand im Amt des Bundespräsidenten die Erfüllung seines politischen Lebens. Der Schwiegersohn von Gustav Heinemann, im Volke „Bruder Johannes“ genannt, war über zwei Jahrzehnte hinweg Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen gewesen. Das persönliche und auch politische Motto des von der evangelischen Kirche stark geprägten Präsidenten hieß „Versöhnen statt spalten“. Als erster deutscher Bundespräsident hielt er – in deutscher Sprache – eine Versöhnungsrede vor dem israelischen Parlament..
Die Präsidenten bis zu Horst Köhler waren sehr unterschiedlich in ihrer Art. Möglicherweise aber doch übereinstimmend in der Rolle, die ihnen der Bonner Politikwissenschaftler Hans-Peter Schwarz einmal zugesprochen hat: Nämlich dem Bedürfnis der Gesellschaft zu entsprechen, „in einem politisch zerfaserten Volk eine Instanz zu sein, die Orientierung gibt und als Person erkennbar ist“. „Großmeister der symbolischen Politik„, hat Schwarz sie auch genannt. Nach Köhler kam Christian Wulff.
Fotos: © Bundesarchiv: Bilder 146-1989-047-20, 146-1994-034-22A, 146-1991-039-11, 146-1983-098-20, CC-BY-SA
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