Auch nach 300 Versuchen wollte es dem „Remstal-Rebellen“ Helmut Palmer einfach nicht gelingen, den anvisierten Bürgermeisterposten für sich beanspruchen zu können. Zu non-konform waren seine Ansichten und zu direkt seine Art, mit der er immer wieder aneckte. Doch die Ambitionen waren groß und hinterließen ihrerseits Fußstapfen, in die sich Sohnemann Boris Palmer nicht zu treten scheute – mit Erfolg. Denn schon beim zweiten Versuch gelang Boris Palmer das, was seinem Vater verwehrt blieb und er wurde schon im ersten Wahlgang im Jahre 2006 zum neuen Tübinger Oberbürgermeister erkoren, zwei Jahre nach seiner ersten Aufstellung für Stuttgart, die den jungen Politiker immerhin einen Achtungserfolg verbuchen ließ . Doch was macht der Sohn des „Remstal-Rebellen“ so anders und was führte zu diesem schnellen Erfolg?
Authentizität und Leidenschaft am Zahn der Zeit
Geboren wurde Boris Palmer im Jahre 1972 in Waiblingen und schon während seines Studiums in Tübingen entdeckte er sein politisches Gespür. Er fungierte als Asta-Referent für Umwelt und Verkehr, ließ sich zu einer Mitgliedschaft bei den Grünen hinreißen, für die er im Jahre 2001 letztlich gar in den Landtag gewählt wurde. Ein nicht selbstverständlicher Werdegang, betrachtet man den Studiengang des Lehramts, den Palmer für die Fächer Geschichte und Mathematik absolvierte. Doch statt den Kindern beim Lernen zu helfen, zog er es vor, dem Tübinger Gemeinderat das Fürchten zu lehren, in der Hinsicht jedenfalls, dass sich Palmer in unerwarteter Manier gegen ein Projekt wandte, das dem Städtegremium durchaus positiv erschien und die leidenschaftliche Entschlossenheit eines authentischen Burschen zu Tage förderte.
Reizwort: „Stuttgart 21“
Für den umweltpolitischen Sprecher Palmer war das Thema Stuttgart 21 schon lange präsent. Und seine Einschätzung zu dem Projekt hatte sich im Laufe der Zeit auch nicht wirklich geändert: Einen „Jahrhundertfehler“ nannte der Schwabe das Bahnhofsprojekt. Und die Aussagen Palmers rührten nicht aus überschwänglich populistischem Kalkül, sondern entstanden aus tiefster Überzeugung, einer Überzeugung, wie sie nur echte Leidenschaft für etwas hervorbringen kann.
Doch die Umstände hatten sich geändert. Palmer war seit drei Jahren Bürgermeister von Tübingen und seine anfängliche Begeisterung für umweltfreundliche Hybrid-Dienstwagen, sowie die Klimaschutz-Kampagne „Tübingen macht blau“ mussten dem harten Alltag des verpflichtenden politischen Geschehens weichen. Die angespannte Haushaltslage in der Universitätsstadt hatte den Oberbürgermeister eingeholt. Als dieser sich kurz darauf in die Elternzeit verabschiedete, waren die Unkenrufe nicht weit und man konfrontierte Palmer mit dem Vorwurf reiner Symbolpolitik. Denn hinzu kam das Engagement Palmers als führende Stimme der Stuttgart 21-Gegner in den Schlichtungsgesprächen, was dem Gemeinderat der Stadt Tübingen aber ganz und gar nicht schmecken wollte. So sah man in dem Projekt nicht zuletzt auch Vorteile für die eigene Stadt und erweiterte den Vorwurf der Symbolpolitik um den Aspekt, Palmer würde die Interessen der Stadt nicht vertreten. Eine Zwickmühle.
Boris Palmer bleibt loyal
Es war schon mal einfacher für Palmer. Doch der argumentativ starke und rhetorisch geschickte Grünenpolitiker hält gegen die Vorwürfe. Bei der Elternzeit sei es ihm ausschließlich um sein Kind gegangen. Ohnehin sei Palmer nicht an einer Vermarktung seiner Familie oder seiner Privatperson interessiert. Das Ablehnen zurückliegender Anfragen bezüglich seines Privatlebens sprechen dafür. Weiter betonte Palmer, dass die Vorwürfe „befremdlich und schmerzlich“ für ihn waren und er seine Funktion als Stuttgart 21-Sprecher in den Schlichtungsgesprächen privat und entsprechend mit Urlaubszeit verbunden wahrnehmen würde. Dass Palmer mitsamt seiner Anhänger den Kürzeren im Falle Stuttgart 21 ziehen musste, betrachtet er sportlich. „Man müsse auch mal verlieren können“, sagte er und verkündete, dass das Thema für ihn definitiv erledigt sei. So auch für viele andere, doch zeigte das Hin und Her, dass der Ton in der gesamten politischen Debatte rauer geworden war. Wohl auch, weil viele in der CDU erkannten, dass Palmer durchaus ein konservatives Milieu anspricht. Und Experten sagen ihm noch mehr voraus. Der Politikwissenschaftler Hans-Georg Wehling hält ihn für einen sicheren Anwärter auf ein Ministeramt in einer möglichen rot-grünen Landesregierung.
Doch Palmer verspricht, dass er bis 2014 Chef im Tübinger Rathaus bleiben möchte. Auch wenn er einräumt: „Es ist nicht so, dass ich unter Garantie sage, egal was passiert, ich werde nichts anderes mehr tun.“ Auf dem Parteitag der Grünen in Freiburg will er sich in den Parteirat wählen lassen. Und dafür hat er auch ein gutes Argument: Er will für die Grünen die Wählerschichten erweitern. Als Pragmatisch in der Sache beschreibt sich Palmer – das gilt wohl auch für seine nächsten Karriereschritte: „Ich kann garantieren, dass ich nicht OB in Stuttgart, Tübingen und Minister in einem Kabinett sein werde“, sagt er und lacht. Echt Palmer, eben.
Buchtipp: „Eine Stadt macht blau: Politik im Klimawandel – das Tübinger Modell“ (ISBN 978-3462041132) von Boris Palmer (Autor). Das Buch ist erschienen im Kiepenheuer & Witsch Verlag und kostet 8,95€.
Fotos: © Manfred Grohe, Martin Schreier
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