Carla Del Ponte aus dem schweizerischen Tessin war Chefanklägerin im UN-Tribunal gegen Kriegsverbrecher aus dem früheren Jugoslawien. Sie hat Slobodan Milosevic gejagt, Radovan Karadzic und Ratko Mladic. Jetzt will sie die Kriegsverbrecher aus Syrien vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag sehen. Sie selbst kann ein Tribunal nicht anordnen – das muß der UN-Sicherheitsrat in New York. Deshalb hat sie Ende Februar 2013 öffentlich Druck gemacht. Sie kennt nach intensiven Ermittlungen die Namen, sie hat die Liste und sagt: „Es sind nicht die Schlächter und Vollstrecker. Es sind die Drahtzieher, die planen und anweisen“.
Den „Westfälischen Friedenspreis“ erhalten
Carla Del Ponte kann Druck machen. Bis 2007 war sie Chefanklägerin des Kriegsverbrecher-Tribunals in Den Haag. Weniger in der Heimat, der Schweiz, aber im Ausland, beispielsweise in den USA oder auch in Deutschland, findet sie hohe Anerkennung. Der sonst so kritische „Spiegel“ sprach von „einer Frau mit Maßstäben“, die sich als Mafiajägerin internationale Reputation erworben habe. Und in Deutschland erhielt sie in Münster den „Westfälischen Friedenspreis“. Einen Preis, der an die beiden am 24. Oktober 1648 in Münster und Osnabrück unterzeichneten Verträge zur Beendigung des 30jährigen Krieges erinnern soll, der halb Europa in Schutt und Asche gelegt hatte.
Als Kind hat sie Vipern gefangen
Die Frau aus dem kleinen Flecken Bignasco im hinteren Maggiatal, wo sie als Wirtstochter mit drei Brüdern aufwuchs, die als Mädchen Vipern fing und sie unter dem Bett in Pappkartons einsperrte, die gegen den Widerstand des Vaters studierte – es war und ist eine Frau, die polarisiert. Man liebt sie oder man hasst sie. Sie ist ein unruhiger – ein ungeduldiger Geist. Nach dem Examen war es für die Juristin klar, dass sie nicht Anwältin und Strafverteidigerin werden wollte. Sie wollte jagen, sie wurde Staatsanwältin; zunächst im Kanton Tessin. 1994 wurde sie Bundesanwältin. Früher hatte sie Vipern im Maggiatal gefangen, im Beruf ging es Großkalibriger zu: Gegen internationale Mafiabanden, die sich in der Schweiz tummelten, gegen Geldwäschersyndikate, und dann, seit 1999, als Chefanklägerin der UN gegen mutmaßliche Kriegsverbrecher. Immer voller Dynamik.
In Palermo knapp einem Attentat entkommen
„Tritt sie auf, glaubt man Trommelwirbel zu vernehmen. Fixiert sie ihr Gegenüber, hört man die Handschellen klicken“, schrieb die Züricher „Weltwoche“. Carla Del Ponte, die frühere Porschefahrerin mit der Rennfahrerlizenz, hat das wenig beeindruckt. Sie wusste und weiß, dass sie den Ruf genießt, von eiskalter Professionalität zu sein, und das schmeichelt ihrem Selbstbewusstsein. Gefahrensituationen hat sie immer getrotzt. Schon als junge Staatsanwältin: Sie arbeitete mit dem später ermordeten sizilianischen Mafiajäger Giovanni Falcone bei der Fahndung nach schwarzen Konten sizilianischer Bosse in der Schweiz zusammen – und entkam in dessen Haus in Palermo nur knapp einem Attentat. Das brachte ihr damals schon den Ruf ein, eine beinharte Ermittlerin zu sein.
Immer eine einsame Frau
Schon als Bundesanwältin in der Schweiz konnte sich Carla Del Ponte nicht ohne Leibgarde auf die Strasse trauen; ihre seltenen Treffen mit der Familie – vielleicht scheiterten deshalb auch zwei Ehen – musste sie heimlich planen. Sie war und ist eine einsame Frau, von einem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn – der natürlich auch Anstoß erregt und Feinde schafft: Carla Del Ponte hat es geschafft, die jahrelang kultivierte Vettern- und Kumpelwirtschaft aus der Schweizerischen Bundesanwaltschaft zu vertreiben; sie hat in der Eidgenossenschaft das Bewusstsein dafür geschärft, dass die Mafia mehr als italienische Folklore ist und dass die organisierte Kriminalität nicht länger am Südportal des Gotthard halt macht. Ihre Feldzüge gegen Geldwäscherei in der Schweiz – auch gegen zwielichtige Gestalten im Umfeld des früheren Kremlchefs Boris Jelzin – mehrten ihr Ansehen im Ausland. Daheim aber nörgelten die Bankiers und gingen in Opposition: Sie beschädige den Finanzplatz Schweiz.
Aber immerhin. Als UN-Generalsekretär Kofi Annan die Bundesanwältin 1999 zur UN-Chefanklägerin in der Nachfolge der vorzeitig abservierten Louise Arbour berief, zeigte sich der Eidgenössische Bundesrat hoch erfreut. Und sie wurde gerühmt als „eine mutige Frau, die uns allen Mut macht“.
„Die Jagd – Ich und die Kriegsverbrecher“
Aber dieses Urteil blieb immer zwiespältig. Nach dem Ende ihrer Dienstzeit als Chefanklägerin zur Jahrswende 2007/2008 beeilten sich die Eidgenossen, diese „mutige Frau“ auf den Botschafterposten nach Rio de Janeiro abzuschieben. Weit weg. Aber sie blieb unangenehm nah: Sie veröffentlichte sie bei Feltrinelli in Mailand ein Buch, das sie zusammen mit dem amerikanischen Journalisten Chuck Sudetic verfasst hat. Es heißt „La Caccia – „Die Jagd. Ich und die Kriegsverbrecher“ – und ist eine einzige massive Anklage. Sie prangert in seltener Offenheit die „systematische Behinderung der internationalen Strafverfolgung durch Politiker und Diplomaten“ an.
Es sind brisante Memoiren. Sie klagt nicht nur in diesem Buch die Urheber und Hintermänner der Kriegsverbrechen auf dem Balkan und jetzt in Syrien an, sie beschuldigt jene, die deren Strafverfolgung aus welchen Gründen auch immer hintertrieben, verhindert oder verzögert hätten. Sie hebt ab vor allem auf führende Politiker, Diplomaten und Militärs der internationalen Staatengemeinschaft. Carla Del Ponte aus dem Maggia-Tal im Tessin bleibt sich treu und behält ihre Feinde.
Buchtipp: „Im Namen der Anklage: Meine Jagd auf Kriegsverbrecher und die Suche nach Gerechtigkeit“ (ISBN 978-3596185207) von Carla Del Ponte (Autorin) und Chuck Sudetic (Autor). Das Buch ist erschienen im Fischer Taschenbuch Verlag und kostet 10,95€.
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