Hätten Sie gedacht, dass Ihnen ein Großteil der Hollywood-Filme immer wieder die gleiche Geschichte im neuen Gewand verkaufen? Dass so gut wie jedem Kinofilm das gleiche Muster zugrunde liegt, gleich ob es sich um Science Fiction Klassiker, wie „Star Wars“ handelt, moderne Fantasy Schlachten, wie „Fluch der Karibik“ oder auch um Komödien, Thriller, Horrorfilme oder Romanzen? Ganz gleich, wie die Verpackung des Filmes aussieht, die Helden gehen immer auf eine Reise, der sich die Zuschauer begeistert und neugierig anschließen.
Die Reise des Helden
Natürlich lässt sich auch in Hollywood nicht jeder Film über einen Kamm scheren und der Filmgigant mit den großen Buchstaben auf den Hügeln ist hin und wieder auch mal für eine Überraschung in Hinblick auf außergewöhnliche Erzählstrukturen gut. Doch was man trauriger Weise festhalten muss, ist die Tatsache, dass es sich beim Mainstreamfilm um ein Produkt für die Massen handelt, das eine Menge Kosten verschlingt, die auch wieder eingespielt werden müssen. Die Folge dieser nüchtern betrachteten Ökonomie des Films ist nun, dass Trends und beeindruckende Technik jeden ansatzweise künstlerischen Anspruch in den Hintergrund drängen. Hollywood Filme brauchen entsprechend also gar nicht als künstlerische Schöpfung überzeugen, sondern müssen als durchgestylte Dienstleistung funktionieren. Eine dieser Möglichkeiten des Funktionierens spiegelt sich in den Geschichten der Filme wider oder besser gesagt in der Art und Weise des Erzählens dieser Geschichten.
Der Erzählweise Hollywoods liegen nämlich archetypische Strukturen zugrunde, die auf den Analysen des amerikanischen Mythen-Forschers Joseph Campbell beruhen. Dieser studierte eingehend die Strukturen antiker Erzählungen und brachte sie in eine anwendbare Form, die er als Heldenreise bezeichnete. Der Held durchläuft demnach mehrere Stationen, bei denen er auf archetypische Figuren oder Situationen trifft, sprich auf Urbilder der menschlichen Vorstellung, die auf Anhieb vertraut sind, so fremd sie auch scheinen mögen.
Der US-Amerikanische Drehbuchautor und Publizist Christopher Vogler hat diese ursprünglich literarischen Stationen der Heldenreise überarbeitet und für die Leinwand optimiert. Herausgekommen ist eine Schablone funktionierenden Geschichtenerzählens, die einen Mammutanteil der amerikanischen Kinofilme ausmacht und immer wieder zu begeistern weiß.
Die dramaturgischen Abläufe und Strukturen im einzelnen:
1. Status Quo des Helden
Am Anfang wird der Held in seiner gewohnten Umgebung dargestellt, wie und wo er lebt, mit welchen alltäglichen Problemen er konfrontiert ist. Hier ist Platz für die Vorgeschichte und Charakterisierung der Hauptfigur.
2. Der Ruf
Den Held ereilt ein Ruf, der ihn aus seiner gewohnten Umgebung reißen und zum Handeln auffordern soll. Dieser Ruf kann in unerschöpflichen Variationen erfolgen. Es kann sich um ein plötzlich auftretendes Problem handeln, einen Unfall oder auch um eine Erkenntnis. Am Beispiel von „Herr der Ringe“ ist es eben der Ring, der den Helden aus seiner Umgebung reißt und ihm eine Aufgabe aufbürdet.
3. Der Held weigert sich
Niemand verlässt gerne seine gewohnte Umgebung, weder psychisch noch physisch und der Filmheld möchte das natürlich auch nicht. Er sucht nach Ausflüchten und einfachen Lösungen, aber es sind keine in Sicht.
4. Der Mentor
Der Held begegnet seinem Mentor, der anstößt, motiviert oder auch Sicherheit gibt und Hilfe anbietet. Der Mentor kann auch ein Gefühl sein, ein innerer Zwang oder äußerer Druck, aber in jedem Falle drängt und bestärkt er den Helden, seine Reise anzutreten.
5. Der Held überschreitet die erste Schwelle
Der Held überschreitet eine Grenze, die keine Umkehr mehr ermöglicht. Diese Schwelle kann räumlich, seelisch oder in den Taten des Helden begründet sein. Der eingeschlagene Weg muss aber fortgesetzt werden. Meist wird diese Schwelle von einem Wächter gehütet, der den Helden hindern oder warnen möchte. Auch dieser Wächter kann eine Person sein oder auch das eigene Gewissen. Am Beispiel „Matrix“ überschreitet der Held „Neo“ die Schwelle, indem er sich für die rote Pille entscheidet. Der Wächter ist in diesem Falle die Warnung des Mentors.
6. Prüfungen, Verbündete und Feinde
Der Held befindet sich nun in einer neuen Umgebung und stößt auf Prüfungen, Feinde und Verbündete. Das übergeordnete Ziel wird klarer und dem Helden wird bewusst, dass er in seinem aktuellen Zustand den übergeordneten Feind nicht besiegen kann. Er muss lernen, wachsen und reifen.
7. Die Höhle des Löwen
Der Held hat nur eine Wahl, seinen Konflikt zu lösen: Er muss sich in die Höhle des Löwen wagen und seinem Gegenspieler gegenübertreten. Eine andere Lösung gibt es nicht. Die Prüfungen und Gegner werden dabei härter, je näher der Held seinem Ziel kommt. Entsprechend gerät er an seine Grenzen und beginnt zu zweifeln, ob er wirklich stark genug ist, seine Situation zu meistern. Angst macht sich breit und zusätzliche Motivation wird nötig – entweder durch Helfer oder durch das Besinnen auf die eigenen Kräfte. Erinnern Sie sich an die Szene in „Star Wars“, in der Luke den Todesstern angreift und mit der technischen Zielvorrichtung am Ziel vorbeischießt? Hier muss er sich wieder auf seinen bisherigen Weg begeben und der „Macht“ vertrauen.
8. Die Konfrontation
Hat der Held die verdichteten Gefahren gemeistert, steht er seinem wahren Feind gegenüber. Die Konfrontation ist unausweichlich und es gibt nur noch ein Siegen oder ein Scheitern, keine Alternativen, alles oder nichts.
9. Das magische Geschenk
Der Held hat seinen wahren Feind besiegt und erhält ein magisches Geschenk, mit dessen Hilfe er seinen Weg zurück in den veränderten Alltag beschreiten kann. Bleiben wir bei „Star Wars“ so ist dieses Geschenk die Erkenntnis, dass aus dem unerfahrenen, unsicheren Luke ein echter Jedi-Ritter geworden ist, der auf die „Macht“ vertrauen kann und im Kampf gegen die Föderation zur wichtigen Schlüsselfigur geworden ist.
10. Der Weg zurück
Der Held ist gereinigt, er hat seinen Feind besiegt, er ist ein neuer Mensch. Doch auch hier ereilen den Helden Zweifel und kleinere Prüfungen. Ist er auch wirklich Herr der Lage geworden oder hatte er vielleicht nur Glück? Kann er wirklich die Verantwortung für seine Taten übernehmen oder verkriecht er sich besser irgendwo? Oder gefällt es ihm in dieser neuen Welt voller Abenteuer vielleicht sogar besser, als in seinem alten Leben und er möchte gar nicht mehr zurück? Denken wir kurz an Harry Potter nach dem Ende des Schuljahres. Er möchte noch so viel dazulernen und weitere Abenteuer mit seinen neuen Freunden erleben, aber zurück zu seiner Muggel-Familie möchte er eigentlich nicht.
11. Die Auferstehung
Ein innerer Zwang oder äußerer Druck zwingt den Helden aber wieder zurück in seinen Alltag. Im Falle Harry Potter schließt die Zauberschule einfach ihre Pforten und schickt seine Schüler in die Ferien. Der Held hat hier gar keine Wahl, sondern muss zurück in seinen Alltag.
12. Der Heimweg
Nun macht sich der Held gestärkt auf den Rückweg in seine gewohnte Welt. Doch ist diese Welt noch die gleiche? Fühlt er sich darin noch wohl oder hat die Reise ihn so sehr verändert, dass er neue Wege einschlagen will oder muss?
Die Stationen 1 bis 7 machen den überwiegenden Teil des Filmes aus, während die restlichen Stationen am Ende des Films relativ zügig durchlaufen werden. Je nach Geschick und Kreativität sind die einzelnen Stationen mal mehr und mal weniger offensichtlich. Aber behalten Sie diese doch einfach einmal im Hinterkopf und achten bei Ihrem nächsten Kinobesuch darauf, Sie werden überrascht sein.
Ende gut, alles gut
Auch wenn die einzelnen Stationen des Helden stark verkürzt dargestellt wurden, zeigen sie deutlich, wie einfach Hollywood eigentlich gestrickt ist. So funktionierte bereits das Erzählen von Homer im antiken Griechenland und so wird das Erzählen vermutlich auch noch in ferner Zukunft funktionieren. An sich auch nichts verwerfliches, doch wird sich in der Filmindustrie oftmals allzu plump dieser Mechanismen bedient, was den Zuschauer, der diese bereits verinnerlicht hat, mehr ärgert als zu unterhalten weiß.
Ausnahmen gibt es selbstverständlich immer wieder, doch sind diese in den Hollywood-Großproduktionen ein unkalkulierbares Risiko, das nur äußerst selten anzutreffen ist. Im Independent und Arthouse Kino hingegen wird versucht eben diese funktionierenden Muster zu durchbrechen und die Sehgewohnheiten zu fordern und zu erweitern, anstatt sie lediglich zu bedienen. Für eingefleischte Filmfans, die der formalen Erzählstruktur überdrüssig sind, gibt es im Independent-Bereich also unzählige Schätze zu entdecken, zur Unterhaltung der Massen dienen diese Filme dann allerdings nicht.
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