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Kabarett & Co. – Das neue „Opium fürs Volk“

Kabarettist Frank-Markus Barwasser alias Erwin PelzigDas ZDF stand einstmals im Ruf, ein konservativer Sender zu ein. Manche hatten sich sogar dazu verstiegen, das ZDF als den „schwarzen Kanal“ zu titulieren. Darum müsste sich doch eigentlich ein gestandener Gerhard Löwenthal dieser Tage im Grabe umdrehen, wenn ein gewisser Urban Priol dort regelmäßig „Neues aus der Anstalt“ verkündet. Aber das tut Herr Löwenthal nicht. Ganz im Gegenteil. Wie kann man das verstehen? Der gefühlte Wahnsinn hat leider Methode, die direkt neben dem Genie liegt.

Volkes gerechter Zorn

Es gibt dieser Tage einiges, worüber man sich in Deutschland völlig zu Recht echauffieren darf und sollte. Ungerechtigkeiten und behördliche Willkür lauern an jeder Ecke, von den offiziell bestallten Wegelagerern und amtlichen Raubrittern ganz zu schweigen. Selten war die Vaterlands- und Politikverdrossenheit bei Lieschen Müller und Otto Normalverbraucher so deprimierend hoch wie im Moment. Keine Frage, es brodelt unter der Oberfläche des Stimmviehs, und das ganz gewaltig. Und was macht der schlaue Herrscher, bevor das Fass überläuft oder die Hutschnur platzt?

Herrschers schlaues Ventil

Ganz einfach – er öffnet ein Ventil, durch das der Volkszorn völlig schadlos verpuffen und abrauchen kann. Dazu haben sich kabarettistische Veranstaltungen als ideale Werkzeuge erwiesen. Die mutigen und wahrheitsliebenden Akteure auf der Bühne sprechen dort aus, was alle denken, und scheuen dabei auch vor besonders gnadenlosen Formulierungen und ätzendem Wortwitz nicht zurück. Tosender Applaus ist danach nicht nur des Kabarettisten schönster Lohn, sondern auch ein Signal dafür, dass der Dampf fürs erste Mal wieder aus dem mentalen Druckkochtopf entwichen ist. Man hat die öffentlich rechtlichen Märtyrer kräftig bejubelt und sich dadurch selbst psychisch erleichtert. Dabei gerät schnell aus dem Blickfeld, dass die ganze scharfzüngige öffentliche Anprangerung der zahllosen Missstände keinerlei praktische Konsequenzen hat. Der listige Herrscher kann sich also zufrieden die Hände reiben. Und noch mehr regelmäßige Kabarettsendungen zum progressiv intellektuellen Einlullen ins feste Programm installieren.

Wenn Wilfried schmickelt und Volker pispert

Urban Priol und Frank-Markus Barwasser: Neues aus der AnstaltDerzeit haben wir eine erstklassige Riege an begnadeten, belesenen und brillanten Kabarettisten, deren ebenso breites wie tiefes Bildungsniveau allerhöchste Bewunderung und größten Respekt verdient. In ihren Programmen leisten diese Ausnahmekünstler eine Aufklärungsarbeit, die beim Publikum oft bis an die Schmerzgrenze und gelegentlich darüber hinausgeht. Daher tut der Gedanke auch besonders weh, dass all diese hochintelligenten Gesellschaftskritiker im Grunde genommen genau das Gegenteil von dem erreichen, was sie vermutlich erreichen wollen. Denn mit jeder Bühnennummer, für die sie ihr Letztes und damit Alles geben, nehmen sie wieder etwas Spannung aus dem gesellschaftlichen System und leisten damit ihren Beitrag zur allgemeinen Volksbefriedung. Und mit dem einhelligen Konsens, dass es der Kabarettist „denen da oben“ mal wieder so richtig eingetränkt hat, ist die Welt wieder in Ordnung. Bis zur nächsten Sendung „Neues aus der Anstalt“.

Die Perfidie dieses Gedankengebäudes kann schockieren, wenn man die Logik in letzter Konsequenz weitertreibt. Ein einfaches Wachrütteln wäre aber schon der erste gute Schritt in die richtige Richtung.

Fotos: www.pelzig.de

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