Die Comedians unserer Tage wissen schon lange, dass sich mit der Dummheit anderer Leute die meisten Lacher erzielen lassen. Was die gefeierten Blödelbarden aber bewusst als satirische oder kabarettistische Aufführung ihrem geneigten Publikum verkaufen, scheint sich seit einigen Jahren erfolgreich im Vor- und Nachmittagsprogramm der deutschsprachigen Privatsender breitzumachen. Reality-TV mit Dokumentationscharakter wird immer beliebter und zum echten Quotenrenner zu den Zeiten, wo man eigentlich gar nicht fernsieht.
Keiner hat´s gesehen, aber jeder kennt es!
Reality-TV fand seinen Anfang in den 1990er Jahren. Als wöchentliches Reportageformat großer Wochenzeitungen wurden redaktionell und journalistisch anspruchsvolle Sendungen spätabends ausgestrahlt und deckten die Missstände der damaligen Gesellschaft auf. Dabei wurde darauf geachtet, dass vorwiegend dort recherchiert wurde, wo Ämter und Behörden bisher versagten. Die Sendungen dominierten nach der Ausstrahlung tagelang die Printmedien und sorgten für Gesprächsstoff an Kaffeetischen und in Kantinen. Wo es damals um das Öffentlichmachen von Skandalen ging, geht es heute nur noch um das bloße Hinschauen. Ob Liveschaltung in Container-WGs oder Harz-IV-Hochzeit in Berlin-Neukölln – Die anspruchsvolle Gesellschaft entdeckt zurzeit ihre Lust am Anspruchslosen. Dass man die stumpfen Sendeformate regelmäßig sieht, würde kaum jemand zugeben. Seltsam ist jedoch, dass fast jeder mitreden kann, wenn es um derartige Sendungen geht.
Beispiel: „Tausch die Mama einfach aus!“
Seit einigen Jahren ist es Hausfrauen und -männern möglich, für 10 Tage in die Rolle einer anderen Mutter oder Hausfrau zu schlüpfen. Dieser Rollentausch ist zwar nicht fingiert und die Teilnehmenden wissen wirklich nicht, worauf sie sich einlassen, aber die Dramatik wird vom Sender vorgegeben. Da wird die Rocker-Braut aus dem Bergischen in die hinterste Ecke des Allgäus „getauscht“ und soll sich dort an den Qualitäten der traditionell-katholischen Vorzeige-Mama messen, was natürlich für Konfliktpotenzial sorgt. Gerade diese Gegensätze machen jedoch das Sendeformat aus, wobei es keine Rolle spielt, ob Unkonventionelles auf Tradition oder Arm auf Reich trifft. Der Zuschauer giert förmlich nach medialer Disharmonie, um sich gehässig die Hände zu reiben oder um sich für andere zu genieren.
Gründe für die Beliebtheit
Psychologen und Medienanalytiker bezeichnen die Lust am Schicksal anderer als moderne Form des Voyeurismus. Man befasst sich mit der Not oder der vermeintlichen Dummheit der Protagonisten, um sich selbst zu beweisen, dass man es im Leben halt einfach besser geschafft hat. Ein anderer Beweggrund der Fangemeinde derartiger Sendeformate ist eine Art Fluchtverhalten. Im Moment des Sehens von Problemen völlig unbekannter Menschen flieht man quasi in deren Welt und muss sich für den Moment nicht mit eigenen, akuten Diskrepanzen aus der privaten Umwelt umher schlagen. Da es in Zukunft wohl für die meisten immer öfter Gründe geben wird, diese Flucht anzutreten, dürfen wir gespannt sein, was uns die Privatsender in Kürze auf dem Frühstücks- oder Kaffeetisch servieren werden.
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