Verschwindend gering dagegen ist die Anzahl jener Stücke, die sich mutig musikalisch mit dem Tod beschäftigen. Und Texte, die dabei der leiblichen Vergänglichkeit obendrein eine freudig lustbare Komponente abgewinnen wollen, sind auch mit der stärksten Lupe nur schwer zu finden.
When I’m Dead and Gone
Benny Gallagher und Graham Lyle haben im Angesicht menschlicher Vergänglichkeit mit ihrem Song „When I’m Dead and Gone“ einen klangvollen Meilenstein geschaffen, der Mut macht, und die Lebenden mit dem Tod versöhnen will. Da heißt es beispielsweise:
„When I’m dead and gone
I wanna leave some happy woman
living on
When I’m dead and gone
I don’t walk no body to morn
inside my grave, yeah“
Cineastischer Todesmut
Die Filmindustrie zeigt sich dem sensiblen Thema deutlich zugänglicher. Zwar sind auch hier Tod und Sterben nicht unbedingt die Lieblingsthemen der Drehbuchautoren, aber die legendäre „Love Story“ spülte reichlich Geld- und Tränenfluten in die Lichtspielhäuser der Vergangenheit. Und „Harold and Maude“ hat sich als ewiger Klassiker längst in der cineastischen Ruhmeshalle etabliert. Die faszinierende Lebendigkeit, mit der Maude dem Leben huldigt und den selbst bestimmten Tod als schlüssige Konsequenz ihrer prallen Lebenslust willkommen heißt, macht jeden Betrachter zutiefst nachdenklich. Und ihre grenzenlose bedingungslose Lebensliebe lässt sich auch vom Ende ihrer leiblichen Existenz nicht ausbremsen:
Harold: „Maude, ich liebe dich“.
Maude: „Das ist so wunderbar, Harold. Geh‘ und lieb noch viele andere.“
In der phantastischen Filmwelt können sogar Roboter und Androiden den unermesslichen Wert menschlichen Lebens auf ergreifende Weise schätzen lernen. So rettet in „Blade Runner“ der perfekte künstliche Mensch, der ohnmächtig seinem nahenden Verfallsdatum entgegensieht, seinem ärgsten Feind und Widersacher im Augenblick des eigenen Todes das Leben. Bis zuletzt haben sich beide bis aufs Blut bekämpft und gejagt. Doch als Roy Batty, der Android mit der exakt festgelegten Haltbarkeitsdauer, sein unaufhaltbares Ende nahen fühlt, ist ihm der göttliche Funke des Lebens auf einmal dermaßen kostbar und heilig, dass er ihn sogar im Körper des verhassten Jägers vor dem Erlöschen bewahren will. Dadurch wird er noch menschlicher als menschlich, noch besser als gut. Dadurch wird er fast zu einem Heiligen. Und wir müssen uns nachdenklich fragen, was wir alle vom und durch den Tod lernen können.
Und in der Realität?
Jeder Tod reißt eine klaffende schmerzvolle Wunde in die Seelen derer, die verlassen werden und vor dem Eingang in die Ewigkeit alleine zurückbleiben. Das Leben ohne den geliebten Menschen wird für die Hinterbliebenen nie mehr das Selbe sein, daran gibt es nichts zu rütteln. Und bis die Wunde verheilt ist, kann es lange dauern. Nicht selten bleiben empfindliche Narben auf der Seele zurück, die auch nach Jahren noch aufbrechen können. Manche Wunde heilt nie. Auf die Fragen „Warum ausgerechnet er? Warum ausgerechnet sie? Warum jetzt schon?“ finden sich keine wirklich tröstlichen Antworten. Was also will der Tod? Warum tut er uns das an? Wozu all diese Seelenqualen? Wo ist der tiefere Sinn?
Der Tod scheint in verblüffender Weise die Aufgabe zu haben, die Ehrfurcht vor und die Freude am Leben ins Bewusstsein zu rücken. Überall da, wo er zuschlägt, müssen sich Menschen damit auseinandersetzen, was sie bisher mit ihrem eigenen Leben angefangen haben und vielleicht noch anfangen wollen. Der Tod zeigt uns, dass unsere Zeit auf Erden nicht endlos ist und dass wir jeden Augenblick nach Kräften auskosten und zelebrieren sollten. Er führt uns in aller Schonungslosigkeit und grausam drastisch vor Augen, dass wir gut nutzen und vor allem genießen müssen, was uns gegeben ist. Der Tod ist ein erbarmungsloser Lehrer, und seine Lektion ist brutal. Deshalb lernt man sie besser schnell: Leben ist grundsätzlich hier und jetzt. Wer das wirklich begreift und darum ohne Umschweife und hoch erhobenen Hauptes den Wartesaal des großen Glücks verlässt, um gleich, sofort und jederzeit das Beste aus seinem göttlichen Geschenk zu machen, der hat die Botschaft des Todes richtig verstanden. Und konsequent umgesetzt.
Ehret die Toten
Eine besonders würdige und schöne Hommage an das Leben, das zwangsläufig irgendwann mit dem Tode endet, ist das Jazz-Begräbnis, wie man es traditionell in New Orleans zelebriert. Der Tote wird dabei in einer feierlichen Prozession und zu ernster Musik zu Grabe getragen. Ist der Sarg aber dann in der Erde, erklingen muntere Töne und die Trauergesellschaft verwandelt sich in eine lebendige bunte Schar fröhlicher Tänzer. So wird zu Ehren des Toten dem Leben gehuldigt. Eine kleinere Version dieser Metamorphose kennen wir in unserem Kulturkreis als den Leichenschmaus. Das gemeinsame Aufnehmen von Nahrung im Anschluss an die Begräbniszeremonie festigt den Zusammenhalt der Hinterbliebenen, spendet Trost und Wärme und ist ein vitales Symbol dafür, dass das Leben weitergeht und dabei niemand alleine bleiben muss.
Trauerarbeit ist wichtig
Es wäre völlig absurd, sich über den Tod zu freuen. Noch absurder ist es allerdings, sich nicht ausgiebig über das Leben zu freuen, so lange es währt.
Trauer und Trauerarbeit müssen unbedingt sein. Doch das Ziel muss immer in der schlussendlichen Rückkehr zum Leben bestehen. Und in der tiefen Dankbarkeit für ein Stück gemeinsamen Lebensweges mit einem geliebten Menschen, der dorthin vorausgegangen ist, wohin wir alle eines schönen Tages gehen werden.
Jeder, der sich dem Gedanken an menschliche Sterblichkeit verschließt, verpasst die Chance, das Leben wirklich wertzuschätzen. Jedes Leben will lustvoll und tollkühn gelebt werden. Jeder Mensch hat ein Geburtsrecht auf Glücklichsein. Jede Uhr läuft einmal ab. Jeder Augenblick zählt. Wirklich jeder.
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