Wenn irgendwo Feuerwehrsirenen erklingen und Flammen in den Himmel lodern, wenn Flüsse über die Ufer treten und Anwohnern das Hab und Gut zerstören, wenn Rettungskräfte auf der Straße um das Leben von Unfallopfern ringen, dann sind sie da: Schaulustige und Gaffer. Unverfroren wird das Leid und Blut sogar mit der Handykamera eingefangen.
Es war nur eine Frage der Zeit, bis auch eine der größten Katastrophen unserer Zeit zum Ziel der menschlichen Neugier wurde: Tschernobyl. Zum Ort, der für Tausende Menschen den Tod und für viele mehr ein Leben mit den Strahlenfolgen eines gravierenden Atomunfalls bedeutete und noch bedeutet, werden Tagesausflüge und Besichtigungstouren angeboten, der immer noch stark erhöhten Radioaktivität zum Trotz. Schaulust oder Bildungshunger?
Ukraine rührt die Werbetrommel für Tourismus nach Tschernobyl
Die Ukraine hat das verstrahlte Sperrgebiet jetzt in großem Umfang für Touristen geöffnet, nachdem auch in den vergangenen Jahren bereits kleine Gruppenführungen möglich waren. Mehrere Reiseunternehmen haben Tschernobyl-Touren in ihr Programm aufgenommen. Und die Ukraine weist stolz darauf hin, dass Tschernobyl auch bei der Fußball-Europameisterschaft 2012 im offiziellen Tour-Programm enthalten ist.
Bisher sind die Besuche nur unter strengen Sicherheitsauflagen möglich und ortskundige Führer kennen die noch immer sehr strahlungsintensiven Bereiche, die gemieden werden müssen. Der Geigerzähler ist dennoch ständiger Begleiter.
Besichtigen, was von Tschernobyl geblieben ist
Aus nur 100 Metern Entfernung kann der strahlende Unglücksreaktor in seinem Stahlsarkophag betrachtet werden. Außerdem führt die Besichtigungstour durch verlassene Dörfer und zum Red Forest, wo nur noch dürre Stämme an den einst prächtigen Wald erinnern. Bedrückende Relikte der Katastrophe.
Schließlich dürfen auch die besichtigt werden, auf die viele Touristen besonders gespannt sind: Die Heimkehrer. Menschen, die in die Todeszone zurückgekehrt sind, die Gefahr ignorieren, ihre Äcker wieder bestellen, ihre Kühe melken und daran gewöhnt sind, zur Touristenattraktion geworden zu sein.
Die Pflanzen und der Boden sind noch immer belastet, die Strahlenwerte sind natürlich noch erhöht, doch der Besuch dieses Bereiches um Tschernobyl ist harmlos, wenn man nichts anfasst und vor allem dort nicht zu sich nimmt, so heißt es in den Reisebeschreibungen. Und so springen die Kontrollgeräte bei der Routineuntersuchung der Touristen auf Strahlen denn am Ende des Ausfluges auch brav auf das beruhigende Grün.
Bildungsreise der Gefahr zum Trotz?
Es ist schon irgendwie grotesk: Da verschlingen wir einerseits gerade Pressemeldungen über geringfügige Radioaktivität, die auf Philippinen oder in Seoul angekommen ist, kaufen vorsichtshalber schon mal in Deutschland alle Geigerzähler auf, sorgen uns um japanische Importe und sehen es andererseits als verantwortbar an, das immer noch verstrahlte Tschernobyl als Touristikangebot freizugeben.
Die Touristikeinnahmen kämen der geschundenen Ukrainischen Wirtschaft zugute, argumentieren einige. Als Bildungsangebot rechtfertigen andere diese Reisen. Die beeindruckenden Bilder würden ja schließlich helfen, das Ausmaß der damaligen Katastrophe zu begreifen. Aber wichtig ist doch nicht, eine Katastrophe in der Erinnerung wach zu halten, sondern daraus zu lernen, oder?
Weiterführende Links zum Thema „Tschernobyl Tourismus“:
BOOK YOUR TOUR TO CHERNOBYL
http://tourkiev.com/chernobyltour/#1
Tschernobyl soll Tourismus-Magnet werden
http://www.zeit.de/reisen/2010-12/tschernobyl-ukraine-tourismus
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