In Paarbeziehungen wird gerechnet, wenn auch nicht in Zahlen, sondern in Form von Gefühlen, über die bewusst und unbewusst Buch geführt wird. Die gegenseitigen Leistungen werden bewertet, ge- und aufgerechnet, es werden Bilanzen geführt, meist verdeckt. Da die Liebe nicht selbstlos und nicht berechnend sein soll, erfolgt das Geben und Nehmen in der Paarbeziehung als geheime Ökonomie.
Angela und Martin Krause bewerten anders
Ein schöner Sonntagmorgen. Angela Krause deckt den Frühstückstisch, ihr Ehemann Martin liegt noch im Bett. Sie ärgert sich, dass er so lange schläft, würde jetzt gerne frühstücken, wartet aber noch auf ihn. Insgeheim bucht sie drei Pluspunkte für sich, und für ihren Mann einen Minuspunkt.
Nach einer halben Stunde kommt Herr Krause aus dem Bett gekrochen, setzt sich zerknittert an den hübsch gedeckten Tisch, begrüßt kurz seine Frau und schmiert sich ein Brötchen. In seiner Buchhaltung gibt es keine Bewegung. Dass seine Frau ihm auch am Sonntag das Frühstück macht, erachtet er als selbstverständlich. In der Buchhaltung seiner Frau bekommt er allerdings noch einen weiteren Minuspunkt, weil er sich für das Frühstück nicht bedankt hat.
Anschließend macht Michael Krause das Auto für den geplanten Wanderausflug fertig. Er fährt zur Tankstelle im Ort, saugt den Innenraum, füllt den Tank, putzt die Scheiben. Dafür bucht er sich zwei Pluspunkte. Seiner Frau allerdings bucht er Minuspunkte als sie zum vereinbarten Abfahrtszeitpunkt nicht fertig ist.
Ob die beiden ihr gegenseitiges Geben und Nehmen nun tatsächlich nach einem Punktesystem bewerten, wissen wir nicht. Zweifellos jedoch bewerten sie ihre Leistungen gefühlsmäßig. Sowohl Angela als auch Martin Krause fühlen sich heute bei diesem wechselseitigen Tauschgeschäft im Defizit. Die Folgen sind spürbar: Unterschwelliger Groll auf beiden Seiten prägt die eheliche Atmosphäre. So warten beide den ganzen Tag über, dass der andere den Ausgleich herstellt. Dieser kommt aber nicht zustande, da sich beide im Plus und den andern im Minus wähnen.
Nichts Gutes wird mehr an diesem Abend passieren, es sei denn, es kommt noch ein Anstoß von außen. Der Anstoß könnte sein, dass sie auf diesen Artikel stoßen. Sie setzen sich zusammen und versuchen einen Salden-Abgleich. Frau Krause wird vielleicht sagen: „Ich bin extra früher aufgestanden, um es uns schön zu machen. Du hast das noch nicht mal bemerkt.“ Optimistische Annahme: Herr Krause ist ein liebe- und verständnisvoller Ehemann, drückt sein Bedauern aus und bedankt sich nachträglich.
Ist Herr Krause aber ein weniger kooperativer Ehemann, wird er versuchen, zu verhindern, dass seine Frau diesen Punktgewinn verbuchen kann. Er wertet den gedeckten Frühstückstisch ab: „Du richtest doch immer den Frühstückstisch, das ist doch nichts Besonderes. Außerdem war ich noch zu müde, weil ich eine anstrengende Woche hinter mir habe.“
Der weiße Fleck der Ökonomie
In der Paarbeziehung werden Dienstleistungen getauscht. Dabei wird be- und gewertet, aufgerechnet und saldiert, nicht in Zahlen, sondern in Form von positiven und negativen Gefühlspositionen. Kosten- und Nutzenabwägungen fallen in die Domäne der Ökonomie, doch diese hat die in der Paarbeziehung herrschenden Mechanismen noch wenig erforscht – ein weißer Fleck.
Allerdings gibt es Schätzungen über den Wert der im Rahmen der Familie und des Paares erstellten Leistungen. So beläuft sich nach einer Erhebung des Statistischen Bundesamts der Wert der unbezahlten Arbeit im Haushalt auf 684 Mrd. Euro in 2003. Diese Leistungen entsprechen damit einem Drittel des Bruttoinlandsprodukts der deutschen Volkswirtschaft und sind damit für die Wohlfahrt und den Reichtum unseres Landes von hoher Bedeutung.
Die in der Paarbeziehung erstellten und getauschten Leistungen werden bewertet, doch nicht mit Euros, sondern nach den vorkapitalistischen Prinzipien einer Nicht-Zahlungsökonomie. Das zentrale Problem dabei ist der fehlende einheitliche Wertmaßstab, an dem die Partner ihr gegenseitiges Geben und Nehmen messen können.
Es gibt keine numerische Werteskala, nach der man etwa einen gedeckten Frühstückstisch bewerten könnte. Bewertungen lassen sich auch nicht miteinander vergleichen. Denn wie könnte man „Frühstück-machen“ mit „Auto-reisefertig-machen“ verrechnen? Trotzdem laufen solche Bewertungen in den Köpfen ab. Bei Herrn und Frau Krause kommt erschwerend hinzu, dass die Dinge, die sie für den anderen und für die Familie tun, für den andern kaum sichtbar sind.
Wie er das gemeinsame Geld verdient, sieht sie nicht. Die Anstrengung und den Stress seiner Arbeit erfährt sie nur im Ergebnis: Er kommt erschöpft und schlecht gelaunt nach Hause. Die Hausfrauenarbeit, die sie tagsüber verrichtet, hat die eigentümliche Eigenschaft nur dann aufzufallen, wenn sie nicht erledigt ist. Beide Partner führen Buch über Soll und Haben, doch in getrennten und meist geheimen Buchhaltungen. So kann es zu der im Grunde genommen absurden Situation kommen, dass beide Partner das Gefühl haben, in der Beziehung zuviel gegeben und zuwenig bekommen zu haben.
Hier lauern also Fallstricke für das harmonische Zusammenleben. Die Partner bewerten das gegenseitige Geben und Nehmen nach nicht immer einsichtigen Maßstäben. Das macht es schwer, den Austausch so zu gestalten, dass er von beiden Seiten als fair und gerecht empfunden wird. Manche Soll-und-Haben-Buchungen in den Köpfen werden im Laufe der Zeit gelöscht, andere bleiben wie eingemeißelt stehen. Das gefühlte Defizit eines Partners darf nicht zu groß werden, sonst könnte er dazu tendieren, die Beziehung zu beenden.
Was hält die beiden zusammen, obwohl es im Laufe des Zusammenlebens fast zwangsläufig zu Ungleichgewichten kommen wird? Es ist die Toleranz, ökonomisch ausgedrückt, der Kreditrahmen, der dem anderen eingeräumt wird. So lange die Liebe noch groß ist, wird nicht so genau gerechnet und die Kreditspielräume sind groß. Erst hohe subjektiv empfundene Außenstände über längere Zeit führen zu Groll, Verbitterung und Streit. Bis dann irgendwann die Kredite von einer oder beiden Seiten radikal gekündigt und die Bestände auf Heller und Pfennig abgerechnet werden.
Die ökonomische Sicht ergänzt die Paarpsychologie
Zweifellos wäre es zu einfach, sämtliche Ehe- und Partnerschaftsprobleme allein unter dieser ökonomischen Perspektive zu betrachten. Doch wenn diese Mechanismen des Gebens und Nehmens nicht funktionieren, wird auch die Paarbeziehung nicht funktionieren. Bei aller Liebe – das wechselseitige Geben und Nehmen muss von beiden Partnern als fair und gerecht empfunden werden. Nur dann ist die Beziehung stabil.
In einer liebevollen Beziehung wird jeder Partner darauf achten, dass der Austausch diesen Kriterien genügt. Doch selbst dann bleibt es schwierig, die wechselseitigen Leistungen zu beidseitiger Zufriedenheit aufeinander abzustimmen.
Eheberatung ist heute die Domäne des Psychologen. Paartherapeuten und Eheberatungsstellen kümmern sich um die Paare, bei denen es nicht so gut klappt. Zahllose psychologisch orientierte Ratgeberbücher mit gut gemeinten Tipps und Erklärungen füllen die Regalen in den Buchhandlungen. Doch der Psychologie fehlt das Verständnis für die ökonomischen Mechanismen der Paarbeziehung. Es verbleibt ein Erklärungsbedarf, wie Partner untereinander mit den schwierigen Aufgaben ihrer Nicht-Zahlungsökonomie zurechtkommen. Hier kann die Wirtschaftslehre mit ihren Methoden dazu beitragen, Licht in diese Zusammenhänge zu bringen.
Bewerten, Abgleichen und Verhandeln in der Paarbeziehung ist schwierig. Viele Konflikte in der Beziehung haben mit den objektiv gegebenen Schwierigkeiten dieses komplizierten Austauschprozesses zu tun. Wenn jedoch beide Partner darum wissen, wird es ihnen möglich, das wechselseitige Geben und Nehmen und damit ihre Beziehung harmonischer zu gestalten.
Autor: Gastbeitrag von Dr. Helmut Zell
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Guten Morgen Herr Dr.,
sehr interessant und volltreffer Ihr Artikel.
Diese Buchhaltung wird gemacht, wenn die Partner nicht zufrieden miteinander und auch mit sich selbst sind. Ihnen fehlt was in ihrer Beziehung. Diese Partnerschaft erfüllt sie nicht. Und sie ergreifen dann solche negative Maßnahmen, um die Schuldige zu entlarven.
Mit besten Grüßen
Soheila Mojtabaei