Ganz gleich, ob es um die Nebeneinkünfte von Kanzlerkandidaten, um Christian Wulff oder das Schicksal von Julia Timoschenko geht: Skandale beherrschen die Medien und damit die öffentliche Diskussion in fast regelmäßigen Abständen. Doch wie entsteht ein Skandal, wie weitet er sich aus und vor allem: wie beendet man ihn? All dies hat Hans-Dieter Schröder vom Hans-Bredow-Institut untersucht.
Herr Schröder, wie entsteht ein Medienhype wie etwa im Fall Timoschenko, über den fast alle Medien lang und breit berichtet haben?
Das Skandalisieren hat zunächst einmal drei Voraussetzungen: Das Thema, das skandalisiert wird, muss einen gewissen Neuigkeitswert haben, es muss relevant sein und darüber hinaus auch eine moralisierende Komponente enthalten. Diese moralisierende Komponente ist meistens eine Täuschung. Skandal bedeutet das Aufdecken einer Täuschung in der Realitätskonstruktion. Die Täuschung wird dabei typischerweise von einem Amtsträger oder einer Vertrauenspersonen begangen.
Können Sie dazu bitte ein Beispiel nennen?
Vertrauenspersonen sind beispielsweise Priester, die uns darüber hinwegtäuschen, dass es vorkommt, dass sie Kinder misshandeln – anstatt fürsorglich zu sein. Im Fall Timoschenko ist es so, dass es heißt: Die hat sich völlig falsch verhalten und deswegen greift der Rechtsstaat Ukraine jetzt mit einem rechtmäßigen Strafverfahren ein. Diese Realitätskonstruktion wurde insbesondere von den westlichen Medien massiv angegriffen, indem sie die Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens gegen Timoschenko angezweifelt haben. Und da die staatichen Amtsträger beziehungsweise Vertrauenspersonen in der Ukraine diese Zweifel nicht plausibel entkräftet haben, kommt es zum Skandal.
Apropos „nicht entkräftet“: Zu diesem Stichwort fällt mir doch der Fall des ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff ein.
Genau, bei Wulff kommt allerdings noch erschwerend hinzu, dass er das Fehlverhalten auch noch ganz gezielt vertuscht und gar versucht hat, die öffentliche Berichterstattung zu verhindern.
Der neue Bundespräsident hat sich bei einem Thema, das ein Skandal hätte werden können, ganz anders verhalten.
Gauck hat ja bereits zu Beginn seiner Amtszeit gesagt: „Naja, meine Partnerin und meine Ehefrau, das sind zwei unterschiedliche Personen, das sage ich Euch gleich“. Wenn Gauck das vertuscht hätte, dann hätte man aus dieser Tatsache ganz locker einen Skandal machen können. Dann wäre die Vertuschung sozusagen der Anlass und der Aufhänger für den Skandal gewesen. Das hätte einen netten Skandal mit der Schlagzeile „Der Bundespräsident lebt in Bigamie“ geben können. Der Knackpunkt an Skandalen ist die Täuschung, die dazu dient, ein moralisch zu verurteilendes Fehlverhalten zu verdecken. Wenn es den Medien dann gelingt, diese Täuschung anzugreifen, aufzudecken und zu entkräften, dann wird sie zum Skandal. Nach der Entlarvung ist dann allerdings auch irgendwann auch die Luft raus. Dann ist die Realitätskonstruktion so nicht mehr haltbar und dann ist es nicht mehr eine Frage der Öffentlichkeit, sondern die Situation nimmt ihren Lauf. Das heißt, der Bundespräsident nimmt beispielsweise seinen Hut und tritt zurück.
Wie ist die Situation bei Julia Timoschenko?
Bei Julia Timoschenko ist es so, dass weiter sehr fragwürdig gehandelt wird. Aber die Öffentlichkeit sagt: „Okay, Eure Vertuschung ist geplatzt, aber leider können wir nichts ändern“. So wie wir auch über Nordkorea wissen, dass dort Vieles nicht rechtsstaatlich läuft. Aber leider können wir das auch nicht ändern.
Als herauskam, dass die Griechen ihre Daten für die Aufnahme in den Euro damals manipuliert und Falschangaben gemacht haben, gab es einen kurzen Skandal, als dies herauskam. In der Folge hatte dies aber keine weiteren Auswirkungen. Die Täuschung war das Problem und die Enthüllung der Täuschung erzeugt den Skandal.
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