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Zeitungssterben:

Das Ende der Frankfurter Rundschau – eine Zeitenwende?

Die Frankfurter Rundschau hat Insolvenz angemeldet. Das Zeitungssterben in Deutschland hat gravierende gesellschaftspolitische Konsequenzen.

Leerer Zeitungsständer der Frankfurter Rundschau„Alles hat seine Zeit“. Mit diesen knappen Worten hat der Chefredakteur eines im Aufbau stehenden anspruchsvollen Online-Magazins den Tod der Tageszeitung „Frankfurter Rundschau“ auf facebook kommentiert. Und er hat diesen Satz unterfüttert mit den – wahren – Worten: „Wenn heute jemand auf die Geschäftsidee käme, mit 100, 200, 300 Leuten jeweils die Nachrichten eines Tags zu sammeln und zu ordnen, diese dann in einem aufwendigen, teueren Prozess über Nacht auf Papier drucken und morgens dieses Papierprodukt mit Nachrichten von gestern in einem weiteren aufwendigen, teueren Prozess für 1,50 Euro oder so verteilen zu lassen – man würde ihn wohl umgehend in die Klapsmühle einweisen“. Wer wollte dagegen etwas sagen?

Werden die Alten stärker ausgegrenzt?

„Alles hat seine Zeit“. Und so wird das sich mit dem Sterben der „Frankfurter Rundschau“ wahrscheinlich beschleunigende Zeitungssterben in Deutschland – von der Financial Times Deutschland ist die Rede, der Bonner General-Anzeiger kappt die Berliner Parlamentsredaktion – unversehens zur Zeitenwende. So jedenfalls sagen es nicht Zeitungs- sondern Sozial- und Gesellschaftswissenschaftler. Eine Zeitenwende mit bösen Auswirkungen. In der Europäischen Union gibt es derzeit 87 Millionen Senioren im Alter von 65 Jahren und darüber. Die Europäer, die Deutschen eingeschlossen, leben länger und gesünder. Und sie sollen in die Gesellschaft eingebunden bleiben. Die wenigsten von ihnen allerdings sind in der Lage, die neuen Medien zu nutzen; aber die gewohnten werden ihnen entzogen. Nach Ansicht der Sozialwissenschaftler ist das eine besonders herbe Art der „Ausgrenzung“.

Vom Lokalen zum Überregionalen

Aber auch, wenn sie die neuen Medien nutzen könnten, brächte es nicht den richtigen Ertrag. Nachgerade naturnotwendig war bislang die Zeitung am Morgen mit ihren Geburts- und Todesanzeigen, den neuen Müllabfuhrgebühren, den amtlichen Bekanntmachungen, den Leserbriefen und Kreuzworträtseln am Wochenende. Die „Frankfurter Rundschau“ beispielsweise, obwohl in den letzten Jahrzehnten mit überregionalem Anspruch, versorgte auch ihre Leser aus Sachsenhausen, Bonames oder Bornheim mit den nötigen Nachbarschaftsmeldungen; in ihrem Hessenteil informierte sie die Frankfurter über das Neueste aus Kassel, Korbach oder Witzenhausen. Wenn solches wegbricht, gehen gesellschaftliche Bindungen verloren.

Von Karl Gerold bis Karl-Hermann Flach

Indem diese Zeitung vom  Markt verschwindet, geht auch ein gut Stück deutscher Nachkriegsgeschichte zuende. Immerhin war sie, nach den Aachener Nachrichten, die zweite Tageszeitung, die nach dem Zweiten Weltkrieg begründet wurde und die erste Zeitung, die in der amerikanischen Besatzungszone am 1. August 1945 eine Lizenz erhielt. Wie es damals hieß, „um den freiheitlich-parlamentarischen Gedanken“ zu verbreiten. Dafür standen in den Folgejahren führende linksliberale Köpfe jener Jahre: Der langjährige Chefredakteur Karl Gerold, sein Mitstreiter aus den Anfängen, Arno Rudert, später dann der Innenpolitik-Chef Conrad Ahlers oder der unumstrittene Liberale Karl-Hermann Flach. Sie alle beherzigten das Wort von Chefredakteur Karl Gerold: „Wir sind unabhängig, aber nicht neutral“.

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Über Klaus J. Schwehn

Nach 25 Jahren spannender Tätigkeit als Parlamentskorrespondent in Bonn (Badische Zeitung, Die Welt, Berliner Tagesspiegel) lebe ich heute in Oberitalien. Meine Arbeitsschwerpunkte sind Politik und Gesellschaft in Italien und Deutschland; aber auch Fragen der Europäischen Union.