Deutschland sei ein Land der Dichter und Denker, so lautet ein geflügeltes Wort. Bei Dichter denkt man unweigerlich an Goethe und Schiller, mit Denkern assoziiert man Geistesgrößen wie Hegel, Kant, Nietzsche, Schopenhauer, Heidegger. Allesamt Philosophen, die vor einigen Jahrzehnten noch jeder Bildungsbürger nicht nur dem Namen nach kannte.
Doch wie das so ist mit geflügelten Worten: Sie stürzen irgendwann ab. Heute ist das Philosophieren, die Liebe zur Weisheit, kein Denk-, sondern ein Auslaufmodell. „Intellektuell“ ist ein Schimpfwort. Wer allzu viel grüble, werde depressiv, liest man in seriösen Publikationen. Statt sich mit düsteren Gedanken vom Anfang und Ende der Welt zu beschäftigen, solle man Sport treiben und Glückshormone ausschütten. Joggen statt Philosophieren heißt die Devise einer ökonomisierten und vergleichsweise reichen Gesellschaft, die es sich leistet, Lehrstühle für Philosophie zu schließen.
Die Schüler bekommen heute Religionsunterricht, sezieren Rinderaugen, aber erfahren nur selten, was der Kategorische Imperativ ist. Die heilige Kuh ist heute die Naturwissenschaft, vor allem die Neurobiologie. Alles Wichtige steckt anscheinend im Erbgut und in den Hormonen. Der freie Wille wird angezweifelt. Liebe ist Chemie. Religiosität genetisch bedingt. So einfach wird der Mensch zum Tier. Heidegger hatte schon recht mit seiner Polemik: „Die Wissenschaft denkt nicht.“ Sie beschreibe nur, was sie sehe.
Und das reicht nicht. Philosophen sind diejenigen, die unangenehme Fragen stellen, die das Gewohnte auf den Kopf stellen. Sie denken auch das, was nicht ist. Oder was sein könnte. Deswegen waren große Denker schon immer Störenfriede, Außenseiter. Einige landeten auf dem Scheiterhaufen. Im Umkehrschluss bedeutet das aber auch: Keine Demokratie ohne unbequeme Philosophen.
Europa gehen seine Denker aus. Vor der Finanz- wütete schon die Gedankenkrise. Mag sein, dass ein Bestsellerautor wie Richard David Precht den Eindruck vermittelt, die Lust am Denken sei größer als hier beschrieben. Und sicher ist es wunderbar, wenn vermehrt neue philosophische Zeitschriften erscheinen, darunter „Hohe Luft“ oder das Stuttgarter Magazin „Agora 42“. Nur was, wenn Precht und die ganze Philosophiererei auf einem Gendefekt beruhen? Dann lieber schnell noch eine Runde joggen.
Jede Philosophie ist Philosophie ihrer Zeit, sie ist Glied in der ganzen Kette der geistigen Entwicklung. G.W.F. Hegel (1780 – 1831):
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