Die Geschichte der Armenspeisung reicht jedoch bis weit ins Mittelalter hinein, hat mitnichten nur mit der Heilsarmee zu tun und ist eng mit der Verbreitung des Christentums verwoben. So wurden von der Kirche nicht nur die sieben Todsünden gepredigt, sondern auch die sieben Werke der Barmherzigkeit, die unter anderem die Speisung von Hungrigen umfassen. Neben zahlreichen individuellen Hilfeleistungen, die fernab des öffentlichen Interesses vonstatten gehen, gibt es auch einige Meilensteine in der Geschichte der Armenspeisung.
Benjamin Thompson – ein Physiker im Dienste des Kurfürsten
Zu einer Zeit, an die an die Heilsarmee noch nicht zu denken war, machte sich der amerikanische Physiker Benjamin Thompson (1753–1814) im Auftrag seines Vorgesetzten, des Kurfürsten Karl IV. Theodor von der Pfalz (1724–1799) in München Gedanken darüber, wie man die Soldaten des Fürsten auf Feldzügen in ausreichendem Maß mit Nahrung versorgen könnte.
Thompson, der 1790 zum Reichsgrafen von Rumford geadelt wurde, verschlug es während der amerikanischen Bürgerkriegswirren erst nach England und später nach Deutschland. Dort trat er in den Dienst des bayerischen Kurfürsten.
Die vom Kurfürsten gewünschte Lebensmittelversorgung sollte nicht nur dessen Armee, sondern zudem noch breite Schichten der Armen umfassen. Zu ihnen gehörten Arbeitslose und Bettler, die unter anderem auch in dem von Benjamin Thompson betriebenen „Münchener Arbeitshaus“ festgehalten wurden.
Seine Ambitionen waren in diesem speziellen Fall wohl weniger von Barmherzigkeit und Mitgefühl geprägt, sondern entsprangen knallhartem Kalkül. Immerhin mussten die Gefangenen des Arbeitshauses körperliche Schwerstarbeit verrichten, zu der sie schlichtweg nicht in der Lage waren, wenn sie tagelang von Wasser und Brot leben mussten.
Rumfordsuppe – Speisung für die Armen
So arbeite der Graf von Rumford fieberhaft an einem Rezept für eine sättigende Suppe, die sich aus möglichst preiswerten Bestandteilen herstellen ließe und zudem für viele Mägen reichen sollte.
Seinen Überlegungen entsprang ein Gericht, das als die wohl berühmteste „Armensuppe“ der Welt in die Geschichtsbücher einging. Die Basis der einfachen – und somit günstigsten – Rumfordsuppe bilden getrocknete Erbsen und Graupen. Salz, Sauerbier oder Wein gaben dieser Suppe von breiiger Konsistenz die nötige Würze.
Später variierte der Graf das Rezept aus Kostengründen, und verwendete anstelle der Graupen Kartoffeln (die man damals noch mit Misstrauen betrachtete). Zur Suppe reichte man altes, in Scheiben geschnittenes Weißbrot gereicht, um den Sättigungsgrad zu erhöhen.
Dank der günstigen und reichhaltigen Kartoffeln konnte eine Portion der Armensuppe nun zum Preis von zwei Pfennig hergestellt werden und die Ersparnis pro Portion lag bei immerhin einem Pfennig.
Rumfordsuppe – aus dem Arbeitshaus in die Suppenküche
Abhängig davon, wo und von wem die Rumfordsuppe serviert wurde, entwickelte der Graf noch gehaltvollere Variationen seiner Suppe. Anstelle des Wassers trat in diesem Fall eine Brühe, gewürzt wurde mit Kräutern und Gewürzen.
Wer heute die zahlreichen Rezepte der Rumfordsuppe studiert, die unter anderem die Zugabe von frischem Gemüse wie Lauch, Zwiebeln, Möhren oder verschiedenen Kohlrüben und die Verwendung von Fleisch oder Schinken vorsehen, vergisst schnell, wie karg die ursprüngliche Suppenmahlzeit war.
Auch nach der Schließung der Arbeitshäuser wurde die Rumfordsuppe in vielerlei Rezeptvariationen an die Bedürftigen verteilt. Ausgegeben wurde die Suppenmahlzeit nun in den so genannten Suppenküchen. Die Idee dieser Küchen stammt aus England und fasste nachfolgend in vielen europäischen Ländern – vorerst allerdings nur in den großen Städten – Fuß.
Im Lauf der Zeit erweiterten die Suppenküchen ihren Speiseplan und boten neben der Rumfordsuppe auch weitere Eintöpfe an. Heute ist vielen dieser Suppenküchen, die von verschiedenen Anbietern betrieben werden, meist auch eine Kleiderkammer angeschlossen. Im Gegensatz zu den Gründern der Heilsarmee hegten und hegen die Initiatoren der Suppenküchen keine missionarischen Ambitionen.
Die Heilsarmee – zwischen Suppe und Seelenheil
Der Londoner Pfarrer William Booth (1829–1912) gründete 1865 mit weiteren Gläubigen die „Christliche Erweckungsgesellschaft“, die 1878 – nach mehreren Namensänderungen – endgültig in die Heilsarmee umbenannt wurde.
Vorrangiges Ziel von Booth und seinen Mitstreitern war es, Gottes Wort auch den Menschen der untersten Gesellschaftsschichten zugänglich zu machen, die niemals einen Fuß in die Kirche setzen würden. Schnell wurde ihm jedoch klar, dass die Ärmsten der Gesellschaft mehr benötigten, als die Verkündung des Evangeliums und es in den Armenvierteln an grundlegenden Dingen mangelte – vor allem an Lebensmitteln.
Mit missionarischem Eifer und einer straffen, militärisch anmutenden Struktur setzen sich die Mitglieder der Heilsarmee fortan für die Belange der Ärmsten ein. Ihre Ziele brachten sie mit dem Slogan „Suppe, Seife und Seelenheil“ klar auf den Punkt. 1886 etablierte sich die Heilsarmee auch in Deutschland und ist – unverändert unter dem damaligen Slogan – noch immer eine Anlaufstelle für Gestrandete.
Berliner Tafel e.V. – Armenspeisung in der Überflussgesellschaft
Eine neue Art der Armenspeisung ist hierzulande dank der Berliner Tafel e.V. entstanden, deren Ursprung in Amerika liegt. In New York wurde vor 26 Jahren eine Einrichtung namens City Harvest ins Leben gerufen.
Der ebenso einfache wie geniale Grundgedanke war, dass dort überschüssige Lebensmittel an Bedürftige umverteilt werden. Das deutsche Pendant, die Berliner Tafel e.V. wurde 1993 gegründet. Das Konzept der Tafel geht augenscheinlich auf, denn mittlerweile gibt es gut 800 Tafel-Ableger im gesamten Bundesgebiet,
Alleine in Berlin wandern im Monat an die 500 Tonnen Lebensmittel über die Tische der Tafel – Tendenz steigend. Von den ehrenamtlichen Mitarbeitern der Tafel werden einwandfreie Lebensmittel – so die Überkapazitäten aus Supermärkten, Bäckereien oder Restaurants – eingesammelt und von Freiwilligen an eigens eingerichteten Ausgabestellen kostenlos an die Bedürftigen verteilt. Tendenz – und zwar sowohl bei Spenden als auch bei Abnehmern – steigend.
Quellen: Fotos: Wolfgang Borrs | gespendetes Gemüse | Sortieren von Lebensmittelspenden – Berliner Tafel
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