Pippilotta Rollgardina Victualia Pfefferminza Efraimstochter Langstrumpf, genannt Pippi. Mit dieser Figur hat Astrid Lindgren (geboren am 14. November 1907, gestorben am 28. Januar 2002) ein Werk begründet, das bis heute auf allen Kontinenten eine unglaubliche Zahl von Lesern und Leserinnen erreicht. Ihr Motto: Man muss für Kinder genauso gut schreiben wie für Erwachsene, nur besser.
Der Start in eine weltweit einmalige Literaturkarriere begann mit einem verstauchten Knöchel. Nur deswegen hatte Astrid Lindgren – eine alleinerziehende Mutter, die als Stenographin arbeitete – jene notwendige Muße, um die Geschichte von Pippi Langstrumpf aufzuschreiben. Bis dahin war es nur eine Gutenachterzählung gewesen, die sie sich für ihre Tochter ausgedacht hatte.
Das muss man sich mal vorstellen: in die überwiegend heile Welt der Kinderliteratur der fünfziger Jahre platzt eine bärenstarke Piratentochter, die nicht zur Schule geht, deswegen keine Plutomikation beherrscht und mit Affe und Pferd – aber ohne Eltern – im eigenen Haus wohnt. Es war nicht leicht, dafür einen Verlag zu finden, aber schon nach der ersten Auflage war der Siegeszug nicht aufzuhalten. Heute erscheint Pippi Langstrumpf in mehr als 60 Sprachen.
Fast ebenso erfolgreich wie das starke Mädchen aus der Villa Kunterbunt sind Figuren wie Kalle Blomquist, Karlsson vom Dach, Ronja Räubertochter und Michel aus Lönneberga. Der übrigens nur in Deutschland als Michel seinen festen Platz im Schuppen hat, im Original heißt er Emil. Aber um Verwechslungen mit Erich Kästners „Emil und die Detektive“ zu vermeiden, wählte man in der deutschen Übersetzung eben diesen Namen.
Worin aber liegt das Erfolgsgeheimnis? Astrid Lindgren hat die Kinder, ihre Wünsche, Hoffnungen und Sehnsüchte, immer Ernst genommen. Und sich dabei auch dem Thema Tod nicht entzogen. So geht es in „Die Brüder Löwenherz“ um das Leben danach, in dem die Kämpfe zwischen Gut und Böse nicht aufhören. Astrid Lindgren selbst hat es immer als ihr „Trostbuch“ bezeichnet.
Die Botschaft all ihrer Geschichten ist das Recht auf Kindsein und die konsequente Ablehnung jeglicher Gewalt in der Erziehung. So erzählte sie anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels die Geschichte von der Frau, die ihr Kind schlagen will und es deshalb in den Garten schickt, um einen Stock zu holen. Aber es findet keinen und kommt deshalb mit einem Stein zurück. „Den kannst Du ja nach mir werfen, das tut bestimmt genauso weh wie mit dem Stock.“ Über diesen Satz zutiefst bestürzt, beschließt die Frau, den Stein als Mahnung ins Regal zu stellen: Niemals Gewalt.
Ein Triumph ist Astrid Lindgren bedauerlicherweise nicht vergönnt gewesen: der Literaturnobelpreis. Als Schöpferin eines ganzen Genres hätte sie ihn eindeutig verdient gehabt, gebraucht hat sie ihn sicher nicht. Immerhin ist sie noch zu Lebzeiten zur „Schwedin des Jahrhunderts“ gewählt worden. Und eigentlich ist sie auch viel lieber um die Wette auf Bäume geklettert (noch mit 70 Jahren), als auf irgendwelchen Empfängen herumzustehen.
Es ist immer ein Vergnügen, Geschichten von Astrid Lindgren lesen – auch im hohen Alter von über 12. Und mit etwas Glück geht dabei auch ein wenig von Pippi Langstrumpfs Geist und Selbstbewusstsein auf einen über. Die winkt ihrer Mutter im Himmel und beruhigt sie, wenn es nötig erscheint: „Hab keine Angst um mich. Ich komm schon zurecht.“ Wie schön, wenn man sich so sicher sein kann.
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