Wenn irgendwann einmal die einflussreichsten Künstler (Maurice Sendak) des 20. Jahrhunderts bestimmmt werden, wird neben Picasso und Warhol auch ein Name auftauchen, der in der Gegenwart nur den Lesern von Kinderbüchern vertraut ist: Maurice Sendak. Sein Buch „Wo die wilden Kerle wohnen“ hat die Leser schon weltweit überzeugt, lange bevor zumindest in Deutschland „Wilde Kerle“ nur noch mit Fußballgeschichten in Verbindung gebracht wurden.
Maurice Sendak wurde 1928 in Brooklyn (New York) geboren, das Buch, das ihn schlagartig bekannt machte (Im Original: „Where the wild things are“) erschien zum ersten Mal 1963. Darin macht ein mit einem Wolfskostüm behangener kleiner Junge namens Max Unsinn. Seine Mutter nennt ihn daraufhin einen „Wilden Kerl,“ was Max mit dem schönen Satz: „Ich fress dich auf“ beantwortet (schließlich ist er ein Wolf). Dass es daraufhin kein Abendessen für ihn gibt, macht die Sache nicht besser. Aber sein Zimmer verwandelt sich in einen großen Wald, und Max steigt in ein Segelboot, um zu den wilden Kerlen zu fahren. Trotz der Ernennung zum König bekommt Max Heimweh, fährt zurück nach Hause und darf in seinem Zimmer feststellen, dass das Abendessen doch auf ihn wartet. Und sogar noch warm ist.
Jenseits jeglicher Verniedlichung hat Sendak einen Urwald kindlicher Phantasie geschaffen, der in den letzten Jahren so manchem Autor und Illustrator dankbare Vorlage war. Die Erzählung tritt so verhalten auf, das auch jüngeres Vorlesepublikum ab vier Jahren die Geschichte gut nachvollziehen können. Und auch die Eltern werden vom Verständnis nicht ausgeschlossen.
Maurice Sendak hat 2003, zusammen mit Christine Nöstlinger, den am höchsten dotierten Kinderbuchpreis erhalten, den „Astrid-Lindgren-Gedächtnis-Preis“. Die New York Times nannte ihn einmal einen der mächtigsten Männer der USA, weil er der Phantasie von Millionen Kindern Gestalt gegeben hat. Dabei hat er immer geleugnet, dass die Kindheit eine einfache Welt oder gar ein Paradies ist: „Die Kindheit ist ein schrecklicher Zustand. Man kann sich nicht wehren. Es ist immer ein Wunder, dass wir überleben und erwachsen werden“, hat er in einem seiner sehr raren Interviews festgestellt.
Maurice Sendak hat natürlich sehr viel mehr als nur die „Wilden Kerle“ geschaffen. „Brundibar“ zum Beispiel, eine ursprünglich 1938 im Konzentrationslager Theresienstadt von Hans Krasa geschriebene Kinderoper. Sendak hat nicht nur das Libretto geschrieben, sondern die gesamte Wirkungsgeschichte in die ursprüngliche Handlung eingewoben. Was keine einfache und unkomplizierte Sache war, weil es um nichts weniger geht als die Judenverfolgung durch die Nationalsozialisten.
Ein ganz anderes Buch ist „Higgelti Piggelti Pop“, das auch noch gleich den schönen Untertitel „Es muß im Leben mehr als alles geben“ trägt. Ein kleiner und gut behüteter Hund macht sich auf den Weg, das Leben zu entdecken. Und das ist eben mehr als ein rundes Kissen im obersten Stockwerk und ein eckiges im unteren. Was so alles passiert, bis der Traum vom Berühmtsein endlich in Erfüllung geht – und damit die Möglichkeit jeden Tag einen Mopp aus Salami zu essen – das ist auch gerade für Erwachsene sehr lehrreich.
Maurice Sendak hat die Welt – nicht nur die der Malerei – auf äußerst kunstvolle Weise bereichert. Es lohnt sich, gerade auch einmal die nicht so bekannten Geschichten zu entdecken. Und wenn ein Kind im Wolfskostüm frech wird – es hat trotzdem sein Abendessen verdient. Meistens jedenfalls.
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