Doch plötzlich ist alles, vieles jedenfalls, wieder ganz nah: Die beiden Professoren Dr. Harald Welzer und Dr. Sönke Neitzel haben ein Buch veröffentlicht, das den schlichten Titel „Soldaten“ trägt und den Untertitel „Protokolle vom Kämpfen, Töten und Sterben“. Schon vor der eigentlichen Präsentation durch den S. Fischer Verlag am 15. April 2011 im Museum für Kommunikation in Berlin hat dieses Werk beachtliche Aufmerksamkeit gefunden – weit über deutsche Grenzen hinweg. Denn es ist sozusagen eine Innenansicht der deutschen Wehrmacht, die immer so tat, als sei sie mitnichten eine SS, sondern eine „sauber“ kämpfende Truppe. Aber es war keineswegs so.
Eine Mentalitätsgeschichte des Krieges
Über die Autoren:
Prof. Dr. Harald Welzer, geboren 1958, ist Direktor des Center for Interdisciplinary Memory Research am Kulturwissenschaftlichen Institut in Essen und lehrt Sozialpsychologie u.a. an der Universität Sankt Gallen.Prof. Dr. Sönke Neitzel, geboren 1968, lehrt Neuere und Neueste Geschichte in Mainz und Saarbrücken; Gastdozent und Lehrstuhlvertretungen an der University of Glasgow, in Karlsruhe und Bern, 2010 Senior Fellow am Kulturwissenschaftlichen Institut in Essen.
Dies Buch gibt den Beweis. Es legt auf der Basis von sage und schreibe 150.000 Seiten Abhörprotokollen erstmals eine überzeugende Mentalitätsgeschichte des Krieges vor. In etlichen von Briten und Amerikanern eigens eingerichteten Lagern waren zwischen 1940 und 1945 deutsche Kriegsgefangene aller Ränge und Waffengattungen heimlich abgehört worden. Sie sprachen mit- und untereinander über militärische Geheimnisse, über ihre Sicht auf den Gegner, auf die eigene Führung und auch über ihre Sicht auf die Vernichtung der Juden. So zeigt dieses Buch die Kriegswahrnehmung von Soldaten in historischer Echtzeit und vermittelt eine zugleich faszinierende und erschreckende Innenansicht des Zweiten Weltkriegs durch jene deutschen Soldaten, die große Teile Europas verwüstet haben. Zugleich wird im Vergleich mit anderen Kriegen herausgearbeitet, was am Fühlen und Handeln der deutschen Soldaten spezifisch für den Nationalsozialismus war – und was nicht.
Großes Aufsehen in Italien
Schon vor der Buchpremiere sorgte das Buch für Aufsehen, beispielsweise in Italien. Im April 2011 veröffentlichte die zweitgrößte Zeitung des Landes, die in Mailand erscheinende „La Repubblica“, eine ganzseitige Würdigung aus der Feder ihres Berliner Korrespondenten Andrea Tarquini unter der Überschrift: „Die schockierenden Erzählungen der Nazis – ‚Welche Freude, Italiener zu töten’“. (I racconti shok die nazisti. ‚Chegioia uccidere italiani’). Dabei richtet sich der Blick der Italiener natürlich in erster Linie auf die Gräueltaten deutscher Landser auf der Apennin-Halbinsel, nachdem das Land vom Pakt mit Hitler abgefallen war. Auf Gräueltaten, die vor Frauen und Kindern nicht halt machten. Was Neitzel und Welzer hier und in diesem Zusammenhang dokumentieren, hatte die Schriftstellerin Christiane Kohl beispielsweise im Jahr 2002 in ihrem Roman „Villa Paradiso: Als der Krieg in die Toskana kam“, auf erschreckende Weise darstellt. Die jetzigen „Protokolle vom Kämpfen, Töten und Sterben“ indessen übertreffen alles.
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