Bewusst zu leben und sich bewusst zu ernähren ist sicherlich kein Fehler, jedoch scheinen es viele Menschen in jüngster Vergangenheit ein wenig zu übertreiben und konzentrieren sich mehr auf ihre Körperfunktionen als es noch gesund sein kann. Da werden Kalorien gezählt, ständig der Blutdruck gemessen und selbst die Zeiten für den Schlaf werden streng geplant und eingehalten. Ärzte sehen in der übertriebenen Selbstkontrolle die Gefahr einer neuen Störung und das Phänomen hat sogar bereits einen Namen: Self-Hacking.
Immer den Puls im Blick
In den USA scheint sich die Selbstkontrolle zu verbreiten wie ein Volkssport. Denn unzählige Menschen messen, veröffentlichen und vergleichen ihre körperlichen Daten täglich und zwar mehrfach in jeglicher Hinsicht. Derartige Gruppen nennen sich Quantified Self, zu Deutsch in etwa befähigtes Selbst, und vergleichen mehrmals täglich bis zu 40 verschiedene physiologische Daten. Dabei handelt es sich allerdings keineswegs um kleine Grüppchen, vielmehr verbreitet sich dieses sogenannte Self-Hacking rasend schnell und findet auch über die Grenzen der USA hinaus immer mehr Anhänger, die mit ihren medizinischen Daten hausieren gehen. So wird im Internet das morgendliche Körpergewicht veröffentlicht, der Blutzuckerwert nach dem Mittagskaffee, die psychische Stimmung, der Menstruationszyklus, das Wetter, sexuelle Begebenheiten und alles, was sich sonst in irgendeiner Weise datentechnisch erheben lässt. Die Anhänger sprechen dabei von Selbstermächtigung und Selbstoptimierung als zentrale Motive auf dem Weg der Selbsterkenntnis, die anhand von den Zahlen der lückenlosen Sammlung von Daten erleichtert werden soll. I-Phone Apps, Online-Plattformen zum Veröffentlichen der Daten und teure Sportmedizinische Geräte unterstützen das Vorhaben natürlich enorm und ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Nein, beim Self-Hacking sollen sich Menschen einfach selbst in ihren vielfältigen Funktionen begreifen und ihren Lebensstil mit einfachen Messungen optimieren können. Neben dem perfekten Verhältnis zum eigenen Körper wird auch das Misstrauen gegenüber Ärzten und medizinischen Studien angeführt.
Zurück geht der Mess-Wahn übrigens auf zwei Journalisten aus Kalifornien, die zusammen mit einer Gruppe aus technikbegeisterten, chronisch kranken Fitnessfreaks den Austausch der Körperdaten nach massiver Selbstbeobachtung publik machten. Die Anhänger des Self-Hackings, von denen mittlerweile auch einige in Deutschland existieren, betrachten ihre Datensammlung dabei als Studie, bei der sie selbst Studienleiter und Teilnehmer in einer Person sind und auf diese Weise nicht mehr auf wissenschaftliche Studien angewiesen sind. Durch die eigene Kontrolle an und für sich, könne man am ehesten herausfinden, was einem selbst gut tut und was nicht. In einigen Fragen mag diese durchaus zutreffen, doch muss man sich ernsthaft fragen, wie eine totale Selbstkontrolle im Alltag aussehen soll, der von den Betroffenen schon jetzt vom Messen und dokumentieren der Körperfunktionen ausgefüllt wird und neben der ganzen Datenerhebung kaum noch Platz zum Leben lässt. Psychologen sehen im Self-Hacking indes die Gefahr einer Illusion der totalen Kontrolle und sprechen von einer krankhaften Störung, sofern das Messen der Körperfunktionen andere soziale Unternehmungen gefährdet. Doch ganz gleich ob man das Self-Hacking nun positiv oder negativ betrachtet, muss man sich beim genaueren Hinsehen die Frage stellen, ob das nagelneue Phänomen wirklich so neu ist.
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Der gläserne Mensch
Vordergründig geistert das Self-Hacking durch die weltweite Presse wie frischgebackene Brötchen über die Ladentheke des Bäckers wandern. Betrachtet man das Thema allerdings nüchtern und nutzt den deutschen Begriff des Kontrollzwangs, so enttarnt sich das neue Phänomen als Hut von gestern, der scheinbar aber im Zuge der nach wie vor anhaltenden Web 2.0-Hysterie auch endlich in der virtuellen, global vernetzten Wahrheit angekommen ist. Etwas Besonderes ist das allerdings nicht und man muss ja nicht auf jeden Zug aufspringen, der mit einem englischen, modern klingenden Begriff versucht, eigentlich alte Missstände als neuen Trend zu verkaufen. Denn mal ehrlich, wen interessiert denn wirklich der Blutdruck eines New Yorker Hausmeisters im Madison Square Garden? So traurig es klingen mag, aber wahrscheinlich nicht einmal seinen behandelnden Arzt und den durchschnittlichen Internet-Surfer schon mal gar nicht. Bleibt nur abzuwarten, ob der Trend die kurze Phase der Propaganda überlebt, was durchaus zu befürchten ist und einmal mehr überdeutlich die Macht der Massenmedien demonstrieren würde, die der Bevölkerung selbst einen krankhaften Kontrollzwang verkaufen können, so lange dieser nur schön und trendy verpackt ist. Das einzige, was an dem ganzen Thema jedoch wirklich sicher ist, ist die Tatsache, dass man durch das Messen von Körperdaten nicht gesünder wird, der Geldbeutel aber deutlich schlanker, je mehr die Datensammelwut zunimmt.
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Dass es bei Quantified Self wie es auch bei anderen Technologien und Methoden zu schädigendem Verhalten Einzelner kommt, ist unbestritten. Der Großteil der Quantified Self-Anhänger konzentriert sich jedoch auf das Messen eines oder weniger Parameter, um die Auswirkungen von zum Beispiel einer Ernährungsumstellung oder von körperlichen Übungen, nachzuvollziehen. Viele haben hierdurch schon große sportliche oder gesundheitliche Erfolge erzielt.
Ich finde es sehr sinnvoll und eine große Hilfe. Wenn man z.B. Konzentrationsvermögen und Stimmung trackt, kann man die Tageszeiten herausfinden, an denen man am besten lernt, an der Thesis schreibt oder etwas anderes tut wie schlafen oder aufräumen.
Was die Körperwerte wie Temperatur, Blutdruck, Puls und Gewicht angeht, so unterstützt mich das wöchentliche Wiegen dabei, gegenzusteuern, wenn ich über die Maßen zunehmen. Ohne wöchentliches Wiegen würde mir das nicht auffallen.
Anhand von Temperatur und Herzfrequenz-Verläufen kann ich sehen, ob sich eine Erkältung anbahnt, noch bevor ich die ersten Beschwerden spüre und kann so rechtzeitig gegensteuern, um einen akuten Ausbruch zu verhindern.
Auf Ärzte kann man sich bei der heutigen Sparmedizin nicht mehr verlassen. Ärzte arbeiten heute wie Callcenteragenten – sie hören höchstens bis zum ersten Reizwort zu, dann bekommt man ein Rezept in die Hand gedrückt und ist binnen zwei Minuten wieder draussen. Hier muss man sich selbst informieren und weiterbilden.
Gut informierte Patienten sind den Ärzten aber ein Graus. Die widersprechen nämlich dann und wann und lassen sich nicht im 2-Minutentakt in Callcentermanier abwimmeln. Darum wettern Ärzte gerne gegen die Informationsmöglichkeiten und den Austausch zwischen Leuten im Internet.
In den USA wo viele überhaupt nicht krankenversichert sind, bleibt den Leuten nichts anderes übrig, als sich selbst zu versorgen. Ich gehe inzwischen überhaupt nicht mehr zum Arzt und versorge mich selbst. Die einzigen Leistungen, die ich in Anspruch nehme ist ärztliche Versorgung bei akuten Verletzungen und Unfällen. Alle anderen Erkrankungen versuche ich durch Sport, gesundes Leben und Selftracking in den Griff zu bekommen. Und bei Dingen wie Krebs, Demenz oder Alzheimer kann sowieso kein Arzt etwas tun, da sollte man lieber von seinem Selbstbestimmungsrecht über sein Leben Gebrauch machen.