Der Ruf bewusster Verbraucher nach artgerechter Tierhaltung in einer verantwortungsvoll betriebenen ökologischen Landwirtschaft wird immer lauter. Doch sind Brathähnchen oder Suppenhühner vom Biobauern wirklich die glücklicheren Tiere gewesen, bevor sie in der Küche landen? Hier lohnt sich ein nüchterner und vor allem kritischer Blick auf die realen Schattenseiten der nicht immer ganz so heilen Biowelt.
Gefährlicher Freilauf
Hühner, die unter freiem Himmel in der Erde scharren und sich dabei ihr Futter Korn für Korn vom Boden aufpicken dürfen, gelten meist als privilegiert im Vergleich zu ihren Kolleginnen aus der industriellen „Kleingruppenhaltung“. Dabei wird allerdings gerne übersehen, dass dieser Freilauf nicht nur von den Hühnern, sondern auch von opportunistischen Wildtieren, wie etwa Tauben oder Ratten, gerne besucht wird. Und diese ungebetenen Gäste haben die unangenehme Eigenschaft, das frei laufende Zuchtgeflügel regelmäßig mit bedrohlichen Krankheiten zu infizieren. Diese Krankheiten müssen natürlich medikamentös behandelt werden.
Denn zum einen können nur gesunde Tiere später verkauft werden. Und zum anderen muss vermieden werden, dass die infizierten Hühner die gesunden anstecken und damit eine Epidemie auslösen. Es geht also ganz sicher nicht ohne Medikamente. Ganz abgesehen davon, dass sich kranke Hühner bestimmt nicht besonders wohl in ihrem Federkleid fühlen – der Verbraucher hat so oder so das Nachsehen. Denn sein Brathähnchen bringt mit ziemlicher Sicherheit immer eine gewisse Menge an medikamentöser Belastung mit auf den Teller. Egal, ob nun Bio oder nicht.
„Voll Scheiße“
Hühnern ist es zu eigen, überall dort, wo sie gerade gehen, stehen oder scharren, ihre Exkremente zu hinterlassen. Bei Hühnern in Käfighaltung fällt der Vogelkot direkt in eine Ablaufvorrichtung, sodass der Käfigboden recht sauber bleibt. Bei der Freilandhaltung sieht das anders aus. Hier waten die Tiere nach kurzer Zeit buchstäblich knietief im eigenen Dreck. Das ist nicht nur unhygienisch und unappetitlich, sondern stellt auch für die Hähne und Hennen eine gesundheitliche Belastung dar.
Denn der aggressive Hühnerkot greift die Füße der Tiere an und begünstigt dadurch Entzündungen und problematische Hautirritationen. Ganz zu schweigen davon, dass die mit dem gefährlichen Vogelmist kontaminierte Erde ab einem gewissen Grad der Verunreinigung als giftiger Sondermüll einzustufen ist und den Umweltschutz damit vor eine ziemlich schwierige Herausforderung stellt.
Keine klaren Hierarchien
Hühnergesellschaften sind die Paradebeispiele für ein soziales Zusammenleben unter dem Primat der Rangordnung. Jeder kennt in diesem Zusammenhang den Begriff der Hackordnung. Doch so eine Hackordnung kann ihre segensreiche und sinnvolle Wirkung nur dann entfalten, wenn sich die Gruppenmitglieder untereinander alle kennen und ganz genau wissen, wer an welcher Stelle der Hühnerleiter zu verorten ist. Im Falle der Hühner setzt das voraus, dass die Gruppenstärke übersichtlich und artgemäß ist. Genau das jedoch ist bei Freilandhaltung fast nie gegeben.
Hier ist die Zahl der umherlaufenden Hühner nämlich so immens, dass sich dauernd viele einander fremde Tiere begegnen. Und dann muss stets und ständig aufs Neue ausgefochten werden, wer auf wem herumhacken darf. Die Folgen davon sind psychischer Dauerstress, lädierte Kämme und multiple Blessuren. Es darf mit ziemlicher Sicherheit davon ausgegangen werden, dass Hühner, die sich fast pausenlos zum Kampf herausgefordert fühlen, in jeder Hinsicht sehr zu leiden haben.
Zur Anregung einer wertfreien Diskussion über das Pro und Contra von ökologischer vs. industrieller Geflügelzucht mögen diese drei Positionen zunächst genügen. Eines wird allerdings auch jetzt schon recht deutlich: Nicht auf jedem Biobauernhof leben glückliche Hühner ein glückliches Leben. Und nicht auf jeder Geflügelfarm müssen Legehennen leiden. Es lohnt sich, darüber einmal differenziert und unvoreingenommen nachzudenken. Auch und gerade im Hinblick auf das Wohl der Tiere, welches uns allen ernsthaft am Herzen liegen sollte.
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