Ältere Semester kennen sie noch, die „Kopfnoten“ im Schulzeugnis. Damit wurden keine fachlichen Leistungen, sondern jene softskill ähnlichen Parameter bewertet, die damals als Betragen, Fleiß, Ordnung und Aufmerksamkeit den „Giftzettel mit Geisterschrift“ pädagogisch abrundeten. So sehr mancher „Hibbel“ die Abschaffung der Kopfnoten auch begrüßt haben mag – mit diesem Relikt aus dem Philologenkalender ist leider auch eine besonders wertvolle Möglichkeit zur Frühdiagnose kindlicher Hochbegabung aus den Klassenzimmern verschwunden. Denn stark mangelnde Aufmerksamkeit oder aufmüpfiges Betragen können ein verkleideter Schrei eines kleinen Genies nach besserer intellektueller Spezialförderung sein. Wer das nicht glaubt, kann sich wahlweise in die autorisierte Biografie des Apple-Gründers Steve Jobs vertiefen, oder jetzt hier gleich weiter lesen.
Wie der Apfel vom genialen Stamm fiel
Man mag Steve Jobs als Menschen durchaus kritisch und differenziert würdigen. Allerdings steht in jedem Blickwinkel außer Frage, dass der visionäre Gründer der fruchtigen Computer-Kultschmiede ein intellektuell hochbegabter Mann mit einem IQ in der Preisklasse einer Telefonnummer gewesen ist. Und genau aus diesem Grund empfand er als kleiner Bub den ihm zuteil gewordenen regulären Schulunterricht als mentale Beleidigung. Wie viele andere Hochbegabte auch konnte der kleine Steve bereits fehlerfrei lesen, als er in die Schule kam. Und so konnten ihn die unbeholfenen Bemühungen seiner Mitschüler, diese fundamentale Kulturtechnik ebenfalls zu erlernen, bestenfalls ermüden, aber immer tödlich langweilen. Was macht aber ein quirliger kleiner Junge, für den das elementare Unterrichtsangebot an Drögheit und gefühlter Banalität nicht zu überbieten ist? Ganz genau – er kaspert rum, heckt Streiche aus, und benimmt sich auch sonst nicht unbedingt wie ein artiger Musterschüler. Dass das nicht unbedingt im Karriere-Aus enden muss, ist inzwischen gelebte und lebendige IT-Geschichte zugleich.
Das Problem der Unterforderung
An diesem prominenten Beispiel wird sehr eindrucksvoll deutlich, dass Lehrer sehr genau zwischen geistig geforderten Störenfrieden und mental hoffnungslos unterforderten Überfliegern unterscheiden (lernen) müssen. Während erstere wahrscheinlich als ADHS-Kinder in die unmittelbare Betreuung eines Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten gehören, der sich auf die Behandlung von Lernstörungen spezialisiert hat, müssen die zu Tode gelangweilten Hochbegabten sofort für eine angemessene Sonderförderung vorgesehen werden. Geschieht dies nicht, dann verkümmern nämlich zum einen die bedauerlich brach liegenden Intelligenzpotenziale, und der gesellschaftlich zunehmend isolierte Hochbegabte entwickelt andererseits mehr und mehr das Gefühl, ein unwillkommener Außenseiter und sonderbarer Kauz zu sein, der niemals seinen Platz in der Welt finden wird. Dann nimmt das Drama des hochbegabten Kindes seinen unvermeidlichen Lauf. Und welche Eltern und Lehrer würden das schon absichtsvoll verantworten wollen?
Warum störst Du?
Fällt ein Schüler dauerhaft und permanent durch unangemessenes Betragen oder eine augenfällig demonstrierte Ignoranz des Schulunterrichts auf, darf man sich mit der Klärung der zugrunde liegenden Ursachen keine Zeit lassen. Denn jetzt muss ein Psychologe im Rahmen einer psychodiagnostisch fundierten Begutachtung sowohl die Intelligenzausstattung als auch die Aufmerksamkeits- und Konzentrationsfähigkeit messen und bewerten. Sollte sich dabei herausstellen, dass eine intellektuelle Hochbegabung zu attestieren ist, und auch an der Konzentrationsfähigkeit in einer Testsituation keine Mängel existieren, dann ist das Rumblödeln und Stören im Unterricht das Resultat einer schädlichen Unterforderungsproblematik, die es umgehend auszuräumen gilt. Aber auch dann, wenn die Intelligenz „nur“ normal“ ausgeprägt ist, muss der Psychologe der verhaltensauffälligen Sache weiter auf den Grund gehen. Denn nur dann bekommt der junge Mensch seine individuelle Chance auf die Entfaltung seiner Möglichkeiten. Ganz egal, wie ausgeprägt diese auch im Einzelnen sein mögen.
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