Dazu einige Stichworte in weiß: „Kindergeburtstag im Garten“ oder „Einschulung mit Zuckertüte.“
Nach dem Tod der Großeltern blättern deren Kinder beim Aufräumen des Nachlasses häufig noch einmal in den hinterlassenen Fotoalben. Erinnerungen werden wieder wach: „Ach ja…“ Da es aber viel aufzuräumen gilt, werden die Alben schnell beiseite gelegt … und vergessen. Nicht ganz: Denn da sind noch die Enkel, die inzwischen merken, dass diese Alben einen Blick in die eigene, nicht selbst erlebte Familiengeschichte gewähren. Plötzlich sind ihre Großeltern nämlich jung und ihre eigenen Eltern noch Kind. Da gibt es die Mutter als kleinen Nackedei am See. Und den Vater als kleinen Jungen – ernst und voller Stolz – mit der Zuckertüte bei der Einschulung zu sehen. Das sind spannende und häufig auch sehr intime Blicke in die Vergangenheit. Dazu können die Eltern eine ganze Menge erzählen. So wird Familiengeschichte lebendig und Vergangenheit greifbar. Und das empfinden manche Enkel heute spannender als den neuesten Harry Potter.
Das klassische Fotoalbum hat einen Einband aus Leder oder Kunststoff und enthält Blätter aus leichtem Karton, auf denen die Fotos mit Fotoecken eingeklebt sind. Natürlich schwarz-weiß. Dazu kommen erläuternde Stichworte. Mal sachlich, mal mit Humor formuliert. „Puppe hat es eilig!“ steht da zum Beispiel unter dem Foto der Mutter im Alter von drei Jahren, die auf den Fotografen – den stolzen Vater – zuläuft.
Die Enkel haben Glück, dass die Generation ihrer Großeltern über Jahrzehnte sorgsam mit Fotos „Buch geführt“ hat. Da war es selbstverständlich, Weihnachten fotografisch zu dokumentieren. Was könnte für die Enkel spannender sein, als einen Blick in das weihnachtlich geschmückte Wohnzimmer des Jahres 1953 zu werfen. Der Tannenbaum, die Geschenke. Dazu das im Kaufhaus aufgenommene Foto mit dem Weihnachtsmann. Beim Blättern sehen sie dann, wie sich Weihnachten über die Jahre verändert hat. Dasselbe gilt für Ostern. Dasselbe gilt auch für den in den 50er-Jahren obligatorischen Sonntagsspaziergang – natürlich schick angezogen. Und beim Ausflug in die Heide gehörte natürlich der erste Wagen mit aufs Bild – ein VW-Käfer mit 24 PS.
In den 60er- oder spätestens 70er-Jahren reißt Opas klassische Dokumentation in den Fotoalben dann ab. Jetzt hält er alles auf Dias fest. Welch ein Unterschied zu den Schwarz-Weiß-Fotos, die Familie jetzt farbfreudig auf der Leinwand zu sehen! Opa füllt ein Magazin nach dem anderen. Sie stapeln sich in den Schränken. Im Laufe der Zeit allerdings stellt er Dia-Projektor und Leinwand immer seltener auf. Die Medien überfluten die Haushalte mehr und mehr. Da bleibt keine Zeit mehr für seine Dias. So entsteht ein Loch in der schwarz-weißen-Familienchronik.
Beim Durchsehen des Nachlasses werden die Dia-Magazine in aller Regel gleich beiseite gelegt. Der Dia-Projektor ist verstaubt oder häufig schon „entsorgt“. Clevere Enkel allerdings haben einen Ausweg gefunden. Sie scannen die Dias ein, bearbeiten oder sortieren sie auf dem Bildschirm und lassen dann Abzüge anfertigen. Für die jungen Leute ist das kein Problem. Sie sind es auch, die immer häufiger auf den Gedanken kommen, einige dieser Fotos einzurahmen und an die Wand zu hängen. Warum soll man nur in den Schlössern Bilder der Vorfahren finden. Hier können sie mit Stolz sagen: „Das waren meine Großeltern vor fünfzig Jahren beim Spaziergang mit meinen Eltern im Stadtpark. Damals, als man sich sonntags noch schick anzog.“
Der neue Trend: Fotobücher
In jüngster Zeit erlebt das Fotoalbum mit dem Fotobuch eine bemerkenswerte Renaissance. Die Digitalfotografie hat es möglich gemacht: So werden die einzelnen Bilder nicht mehr ins Album geklebt, sondern am PC digital ins Fotobuch geschoben. Dazu werden Texte eingefügt. Sind die Seiten voll, lässt man das Buch vom Labor ausdrucken und binden. Das Ergebnis ist dann weniger ein Album als ein ansprechender Bildband. So wird in moderner Form die alte Fotodokumentation fortgesetzt. Wenn das die Großeltern noch miterlebt hätten!
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