Wer diese Aussage nicht bestätigen will, muss in seinem Umfeld nur einmal genau hinhören, beziehungsweise wie es der bekannteste Bibelübersetzer Martin Luther bezeichnete: „Dem Volk aufs Maul schauen“. Denn viele, wenn nicht sogar die meisten Sprichwörter, haben eine biblische Vorlage und werden heute ganz selbstverständlich im deutschen Sprachraum genutzt. Dabei spielt eine besondere Bindung an eine der christlichen Kirchen keine Rolle.
Biblische Umschreibungen
„Wie die Jungfrau zum Kinde kommen“ – wenn jemand unverhofft in Besitz einer Sache kommt oder unerhörtes Glück hat, vergleicht man es gern mit der Gegebenheit rund um die Empfängnis der jungfräulichen Gottesmutter. Mit dieser Redewendung kann man auch umschreiben, wie sich die bildhaften Umschreibungen im Sprachgebrauch festsetzten. Bis weit ins 19. Jahrhundert hinein war die Bibel das einzige Buch, zu dem auch die damals weitverbreiteten, nicht lesenden Bevölkerungsschichten Zugang hatten. Immerhin wurde von klein auf darauf geachtet, dass der Nachwuchs der Katechese, also dem Bibelstudium unterzogen wurde.
„Vom Saulus zum Paulus“ oder „Wer´s glaubt, wird selig?“
Wer sich vom „Saulus zum Paulus“ ändert, vollzieht einen positiven Sinneswandel. Diese Redensart beruht auf der Legende, dass der ehemalige Christenverfolger Saulus von Tarsus nach einer Vision zum Christentum konvertierte und sich fortan „Paulus“ nannte. Von ihm, einem der wichtigsten Apostel, stammen wahrscheinlich die meisten schriftlichen Überlieferungen im neuen Testament, sodass Textfragmente schnell in die Alltagssprache übergingen. So verhält es sich auch mit dem Umstand, wenn man seinem Gegenüber seinen Unglauben über das gerade Gehörte ausdrücken möchte: “Wer´s glaubt, wird selig!“ spielt auf Paulus These an, dass nur der Glaube an die Gottesgnade die Tore zum Himmel öffnet.
„Auge um Auge – Zahn um Zahn“ oder „Liebe deinen Nächsten“
Menschen, die einen Kampf bis aufs Letzte führen wollen, führen ihn „Auge um Auge – Zahn um Zahn“. Dieser Ausspruch entstammt der Gesetzgebung des Alten Testaments, in dem es noch üblich war, Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Dem entgegen steht der christliche Grundsatz „Liebe deinen Nächsten, wie dich selbst!“, der Jesus selbst zugeschrieben wird. Anders ausgedrückt sagt dieses nichts anderes als: „Was du nicht willst, was man dir tu, das füg auch keinem andern zu!“ Neben den bisher angezeigten Sprichwörtern und Redewendungen sind aber noch unzählige weitere im Umlauf.
Die Bekanntesten
„Von Pontius nach Pilatus laufen“ spielt auf die Passionsgeschichte an, als Jesus von der aufgebrachten Menge immer wieder vor den römischen Statthalter gezerrt wurde.
„Sein Licht unter einen Scheffel stellen“ taucht in einem Gleichnis Jesu auf, in dem er ermahnt, persönliche Talente nicht ungenutzt zu lassen.
Wer „Perlen vor die Säue wirft“, verschwendet Wertvolles an jemanden, der dies nicht zu schätzen weiß. Das bestätigt auch der Evangelist Matthäus im siebten Kapitel.
„Sodom und Gomorrha“ waren zwei Städte am Toten Meer, die aufgrund des Sittenverfalls von Gott zerstört wurden. Der Zustand des unmoralischen Verhaltens wird auch noch heute mit diesen Städten verglichen.
Die Wirtschaftsnachrichten berichten heute oft von kleinen Firmen, die sich gegen die übermächtige Konkurrenz zur Wehr setzen müssen, und umschreiben dies mit dem Kampf von „David gegen Goliath“.
Ebenfalls gerne in Firmen bei Bewerbungsverfahrungen genutzt wird das Sprichwort „Die Spreu vom Weizen trennen“. Es ist einer der Predigten Johannes des Täufers entnommen.
Immer noch in aller Munde
Wem beim Lesen dieses Artikels sprichwörtlich die „Schuppen von den Augen“ fallen, wird sich wie Paulus fühlen, der in Damaskus von seiner Blindheit geheilt wurde. Es mag in der heutigen Zeit verwundern, wie biblisch unsere Art des bildlichen Beschreibens von Umständen ist. Vor allem die unzähligen weiteren Textstellen, die hier nicht aufgeführt wurden, zeigen, dass das „Buch der Bücher“ unsere Sprachgewohnheiten geprägt hat, wie kein anderes.
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