Mitte Juni treffen sich Vespa–Roller-Fans aus ganz Europa in (Piaggio) Turin, um den runden Geburtstag der Legende mit der Wespentaille zu feiern. Grund genug, einen Blick auf die einzigartige Erfolgsgeschichte der »Wespe« zu werfen.
1946 herrscht Aufbruchsstimmung in Italien. Der Krieg ist vorüber und Enrico Piaggio will etwas Neues schaffen. Sein Vater hatte die Firma 1884 gegründet und mit Schiffsteilen, Eisenbahnwaggons und Motoren, nach dem ersten Weltkrieg Triebwerken und Flugzeugen groß gemacht. Nun, nach dem zweiten Weltkrieg, sind die Fabriken als strategische Ziele großteils zerstört. Doch Enrico Piaggio will keine Flugzeuge bauen. Er will den Italienern Mobilität schenken. Alle, auch die Tagelöhner im armen Süden des Landes, sollen schnell und billig von A nach B fahren können.
Grundlage für die Erfüllung dieses Traums ist ein kleines Motorrad für Fallschirmjäger, das noch in den letzten Kriegsjahren als Prototyp für ein billiges Verkehrsmittel entstand. Enrico Piaggio beauftragte Corradino D’Ascanio, einen Flugzeugingenieur, damit, diese Idee zur Serienreife zu bringen.
Es ist ein Glück für die Vespa-Gemeinde, dass D’Ascanio Motorräder nicht ausstehen kann. Kettenfett und schmutzige Motorteile drohen ständig die Kleidung zu beschmutzen, Motorräder sind nach seiner Meinung klobig und unpraktisch. Der Reifenwechsel, bei den damaligen Materialien und Straßenverhältnissen öfter notwendig als heute, ist eine einzige Katastrophe.
Aber als Flugzeugingenieur findet er überraschende und einfache Lösungen für diese Probleme, weil er sie aus einer anderen Perspektive betrachtet. Er verwendet eine einseitige Radaufhängung wie beim Flugzeugbau, was den Radwechsel deutlich vereinfacht, und lässt die Kette zugunsten eines Direktantriebs einfach weg. Die Gangschaltung verlegt er direkt an die Hand, an den Lenker. Und die selbsttragende Karosserie gestaltet er so, dass sie den Fahrer und seine Kleidung so gut wie möglich vor Witterung, Straßen- und Motorschmutz schützt. Gefährliche Zahnräder, Ketten und sich drehende Motorteile verschwinden unter der Verkleidung.
Nur wenige Tage braucht D’Ascanio, um zusammen mit dem Designer Mario D’Este aus einem militärischen Nutzfahrzeug einen Designklassiker zu machen, der seinen Siegeszug um die Welt antritt. Als Enrico Piaggio im April die Wespentaille des neuen Gefährts sieht, verpasst er ihr mit einem Aufruf den Namen, unter dem sie seit jetzt 60 Jahren auf der ganzen Welt bekannt ist: »Sembra una vespa!«, »die sieht aus wie eine Wespe!« Aber noch gilt es, einen Vertriebspartner für das merkwürdige Vehikel zu finden. Moto Guzzi ist nicht interessiert, Lancia erklärt sich schließlich dazu bereit.
Die erste Vespa hat nur 3,2 PS bei 98 cm³, fährt aber immerhin schon flotte 60 Stundenkilometer. Immerhin 2.484 Roller verkauft Piaggio in diesem Jahr. Genug, um für die Vespa 98, die Pauperino, an eine große Schwester zu denken. Die kommt 1948 auf den Markt, besitzt 4,5 PS bei 125 cm³ und fährt gute 70 km/h. Um 1950 herum kommt die Vespa nach Deutschland, wo sie besonders die jungen Leute mobil macht.
Während Vespas und Lambretta sich Anfang der Sechzigerjahre als Fahrzeug der Mod-Kultur in Großbritannien etablieren, beginnt die allgemeine Vespa-Begeisterung um 1965 herum abzuflauen. Rund 3 Millionen sind weltweit verkauft, doch inzwischen können sich immer mehr Menschen auch ein Auto leisten.
Um 1980 herum, nach dem Erfolg des Mod-Films Quadrophenia und dem gleichnamigen Album der Who, schwappt eine zweite Mod- und damit Scooter-Welle auch nach Deutschland. Neben dem Vespa-Club Deutschland, der in internationale Vespa-Vereinigungen eingebunden ist, entsteht eine autonome Roller-Szene. Scooter Boys veranstalten Scooterruns mit ihren Custom Scootern, die oft kaum wieder zu erkennen sind, mit Rennauspuff, Blechausschnitten und Stummellenkern.
In einer Zeit, in der über Umweltbewusstsein und Schadstoffvermeidung gesprochen wird, gelten die knatternden Vespa-Zweitakter allgemein als technisch überholt. Auch das geglättete Design findet nicht so viele Freunde wie die runden Formen der früheren Vespas. Erst Ende der Neunzigerjahre kommt die Vespa wieder: Die Vespa ET lehnt sich mit ihren runden Formen an das Retro-Design an, das gerade wieder in Mode kommt – und wird ein Erfolg.
Das aktuell stärkste Modell, die GTS 250 i.e., ist die 140. Vespa. Sie hat erstmals einen Einspritzmotor, ist wassergekühlt und auch mit ABS erhältlich. Der Retrolook spricht auch Fans der klassischen Formen an, die moderne Technik entkräftet alle Argumente der Kritiker. Im Jahr ihres 60. Geburtstags ist die Vespa so aktuell wie eh und je.
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