Bonner Forschern und ihren US-amerikanischen Kollegen ist offenbar ein Durchbruch in der Untersuchung von Angststörungen gelungen. Bislang wurde angenommen, dass die Amygdala – ein Kerngebiet des Gehirns – für Furcht und Panik verantwortlich sei. Wie die Forscher aber an Patienten mit defekten Angstzentren herausfanden, muss es weitere Strukturen im Gehirn geben, die an der Angst beteiligt sind. Ferner könne die Amygdala selbst gar Ängste hemmen. Die Ergebnisse der Untersuchung werden nun im renommierten Journal „Nature Neuroscience“ veröffentlicht.
Wie die Amygdala scheinbar funktioniert
Die Amygdala ist der Mandelkern des Gehirns und wird aktiviert, wenn ein Mensch Furcht oder Todesangst erleidet. In der Hirnstruktur werden Impulse von außen verarbeitet und in körperliche Reaktionen umgesetzt, die jeder beim Angstempfinden wohl kennt: Herzrasen, Angstschweiß und der Drang zur Flucht. Der wichtige Mandelkern ist gleich zwei Mal vorhanden, nämlich jeweils in den Schläfenlappen. Sind beide Mandelkerne beschädigt, so unterbleiben das Angstempfinden und die unter Umständen lebenswichtigen Reaktionen darauf. Diese allgemeingültige, wissenschaftliche Annahme wurde nun aber in ihren Grundfesten erschüttert. Auslöser dafür sind die bahnbrechenden Erkenntnisse von Forschern des Bonner Universitätsklinikums und ihren US-Kollegen der Universität Iowa, des Howard Hughes Medical Institute Maryland und des Department of Veterans Affairs Medical Center Iowa.
Kohlendioxid ist verantwortlich für Panikattacken
An der Untersuchung nahmen drei Patienten teil, die an dem sehr seltenen Urbach-Wiethe-Syndrom leiden. Bei dieser genetischen Erkrankung sind beide Mandelkerne durch eine Verkalkung geschädigt und außer Kraft gesetzt. Wie Privatdozent Dr. Dr. med. René Hurlemann, Oberarzt der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Bonn, erklärt, empfinde diese Menschen noch nicht einmal Angst, wenn ihnen eine Tarantel auf der Hand sitzen würde. In einem Experiment wurden den drei Patienten und zwölf gesunden Kontrollpersonen hoch dosiertes Kohlendioxid über eine Atemmaske verabreicht. Durch das Einatmen des Gases entsteht ein Sauerstoffmangel, der eine Panikreaktion auslöst. Es war anzunehmen, dass die Urbach-Wiethe-Patienten keine Panikattacke bekommen würden, weil ihre Angstzentren zerstört sind. Doch genau das Gegenteil trat ein und alle drei Patienten empfanden sehr starke Furcht. Bei den gesunden Kontrollpersonen erlitten hingegen nur drei Teilnehmer eine Panikattacke.
Amygdala erscheint in komplett neuem Licht
Entgegen der Annahme reagierten die geschädigten Patienten besonders sensibel auf den Sauerstoffmangel. Die Forscher folgern daraus, dass die Amygdala nicht nur für das Auslösen von Furcht und Panik verantwortlich ist, sondern diese gleichzeitig auch hemmen kann. Diese Erkenntnis stellt die vielfach erforschte Gehirnstruktur völlig auf den Kopf. Denn beim Mandelkern könnte es sich nicht um das Angstzentrum an sich, sondern lediglich um ein Angstkontrollzentrum handeln. „Dies ist eine bahnbrechende Erkenntnis, die unser Weltbild komplett umdreht“, erklärt Dr. Hurlemann. Allerdings hat die Erkenntnis auch mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet. Wo befindet sich zum Beispiel die Gehirnstruktur, die noch an der Entstehung von Panik beteiligt ist? Um alle Unklarheiten zu beseitigen, sind noch viele und detaillierte Untersuchungen notwendig, doch kann die weitere Forschung höchstwahrscheinlich zur Revolutionierung der Therapie gegen Angststörung führen.
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