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Forschung:

Seeanemone liefert Insektizide und Schmerzmittel von morgen

Das Gift der Seeanemone könnte zukünftig schädliche Insekten bekämpfen und die Basis für die Entwicklung neuer Schmerzmittel sein.

Anemonenfisch versteckt sich zwischen einer giftigen Seeanemone.

Arzneimittel und Insektizide für die Zukunft – die Seeanemone liefert die notwendigen Substanzen. Bild: © fotolia.de

Schlechte Nachrichten für schädliche Insekten, gute Nachrichten für den Menschen: Wissenschaftler am Laboratorium für Toxikologie im belgischen Löwen entdeckten, dass das Gift der Seeanemone ein Insektizid ist, stärker als DDT und umweltfreundlich. Zudem kann es möglicherweise die Grundlage für eine neue Generation von Schmerzmedikamenten darstellen. »Je mehr wir über diese Art von Gift entdecken, umso mehr scheinen sie ein Freund des Menschen zu sein und nicht sein Feind.«

Seeanemonen töten mit verschiedenen Giften

Zur Erklärung sei gesagt, dass Seeanemonen keine Pflanzen sind, sondern Weichtiere, die mit den Quallen verwandt sind. Um sich zu verteidigen und um Beute zu jagen, benutzt die Seeanemone Nesselzellen, mit denen sie harpunenartig kleine Giftpfeile abfeuern kann. Bei Berührung schießt die Anemone kleine mit Gift gefüllte Harpunen ab und tötet so ihre Beute. Professor Jan Tytgat, Leiter des Laboratoriums für Toxikologie, erklärt: »Das Gift ist ein Cocktail aus verschiedenen Toxinen, giftige Eiweiße mit unterschiedlichen Zielsetzungen. Eins der Toxine lähmt beispielsweise das Nervensystem, in dem es die Natriumkanäle angreift, die dessen Funktion regeln. Ein anderes Toxin wirkt mehr auf den Herzmuskel oder die Skelettmuskulatur.«

Drei Toxine genauer untersucht

»Mein Kollege Steve Peigneur und ich haben die Wirkung von drei Toxinen der Seeanemone genauer untersucht«, erzählt Tytgat. »Wir haben sie an zehn Arten von Natriumkanälen getestet, sieben von Säugetieren, aber auch drei von Insekten. Das Resultat war, um es gelinde auszudrücken, spektakulär: die Gifte legten auch die Natriumkanäle der Insekten lahm. Die Gifte sind – mit anderen Worten – auch Insektizide. Die sich zudem als extrem tödlich zeigen: Sie sind viele Male stärker als DDT.«

»Wir waren überrascht, denn warum verfügt eine Seeanemone über eine starke Waffe gegen Insekten? Im Prinzip begegnet sie nie in ihrem Leben einem Insekt, es scheint evolutionär völlig überflüssig. Eine mögliche Erklärung ist, dass Seeanemonen sich verteidigen, damit sie nicht von Hummern, Krebsen und Garnelen gefressen werden. Denn diese Krebstiere sind wiederum evolutionär eng verwandt mit Insekten.«

Töten und heilen

Giftige Seeanemone im Meer.Die Entdeckung dieser Gifte kann zur Entwicklung neuer umweltfreundlicher Insektizide führen, sagt Professor Tytgat. »Viele der heutigen Insektizide wirken nicht mehr gut: Insekten haben gegen die Mittel Resistenzen entwickelt. Das trifft für das Anemonengift nicht zu. Zudem werden viele künstliche Insektizide wie DDT in der Natur nur langsam abgebaut und sind deshalb gefährlich für Umwelt und Mensch. Sie hinterlassen in unserem Körper schädliche Rückstände – deshalb übrigens sind viele Insektizide inzwischen verboten. Die Toxine der Seeanemone sind ein natürliches Produkt und verursachen dieses Problem nicht.«

»Es ist nun Sache der Agrar-Industrie zu sehen, wie sie aus den Toxinen echte Insektizide herstellen können. Man kann beispielsweise Pflanzen genetisch verändern, sodass sie selbst diese giftigen Eiweiße herstellen. Ein Insekt, das von so einer Pflanze frisst, überlebt die Mahlzeit nicht. Das klingt spektakulär, aber in der Natur ist das nichts Neues: Das Nikotin in Tabakpflanzen dient dazu, feindliche Insekten zu töten.«

Grundlage für neue Schmerzstiller?

Das Anemonengift tötet vielleicht bald Insekten auf unseren Äckern, aber für den Menschen kann es die Basis für neue Medikamente sein. »Manche Menschen reagieren kaum noch auf milde Schmerzstiller wie Paracetamol und manche Patienten sogar nicht auf harte Narkotika wie Morphine. Für diese Menschen ist eine neue Generation Schmerztherapeutika notwendig. Dabei können die Toxine der Seeanemone helfen. Wir testeten sie, wie schon erwähnt, auch für Anwendungsgebiete bei Säugetieren. Sie scheinen Einfluss auf die Schmerzwahrnehmung zu haben und sie wirken auf den Herzmuskel. Sie könnten auch nützlich sein bei Krankheiten wie Epilepsie und multiple Sklerose.«

Medikamente aus Seeanemonen: Ist das kein ferner Zukunftstraum? »Im Gegenteil«, sagt Professor Tytgat, »diese Art von Arzneimitteln gibt es auch heute schon. Vor einigen Jahren kam »Prialt« auf den Markt, ein Arzneimittel gegen chronische Schmerzen. Die Wirksubstanz darin ist ein Toxin aus dem Gift von Meeresschnecken. Es klingt also nach Science-Fiction, aber die ersten Erfolge gibt es bereits.«

Schlaues Gift

Tödlich für Insekten, schmerzstillend für den Menschen, das ist doch schon eine Leistung für das Gift eines kleinen Tieres. Jan Tytgat dazu: »Wir nennen das Gift der Seeanemone in unserer Dokumentation nicht umsonst »promiskuitiv«: Es enthält einen Cocktail an Toxinen, von denen das eine ein ganz spezifisches Ziel in der Beute angreift und das andere mehr allgemein lähmt. Sehr schlau von der Anemone, denn durch den Fächer an Zielen ist ihre Überlebenschance viel größer, als wenn alle Giftpfeile nur eine Zielsetzung hätten. Darum gibt es auch noch keine Resistenzen gegen das Anemonengift: Denn dafür müsste ein überlebendes Beutetier sich fortpflanzen, aber es gibt schlichtweg keine überlebenden Beutetiere.«

»Je mehr wir über solche Gifte entdecken, umso mehr stellen wir fest, dass sie nicht Feind des Menschen sind, sondern Freund. Ein schönes Beispiel dafür, wie wir die biologische Vielfalt von Mutter Natur für ein besseres und gesünderes Leben einsetzen können.« Die Ergebnisse erscheinen in der Dezember-Ausgabe des Fachmagazins »The FASEB Jounal«.

Giftige Tiere – gesunde Menschen

Die Seeanemone ist nicht das erste giftige Tier, das möglicherweise für ein neues Arzneimittel sorgt. Das Gift dreier anderer Tierarten lieferte schon Medikamente gegen verschiedene Erkrankungen:

  • Die Jararaca-Lanzenotter oder kurz Jararaca (Bothrops jararaca): Aus ihrem Gift wurden ACE-Hemmer zur Regulierung von Bluthochdruck entwickelt.
  • Die Gila-Krustenechse (Heloderma suspectum): In ihrem Gift findet sich ein Glykoprotein, das Polypeptid Exendin-4, das den Blutzucker senkt. Die synthetische Variante Exenatid wird unter dem Handelsnamen Byetta zur Behandlung von Typ 2-Diabetes eingesetzt.
  • Die marine Kegelschnecke (Conus magnus): Ihr Gift enthält Ziconotid, dass bei schweren chronischen Schmerzzuständen wirksam ist. Der Wirkstoff wird inzwischen synthetisch hergestellt und unter dem Handelsnamen Prialt vertrieben.

Quelle: Jan Tytgat, Steve Peigneur et al.: A natural point mutation changes both target selectivity and mechanism of action of sea anemone toxins. FASEB J 26:5141-5151, doi:10.1096/fj.12-218479

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Über Angelika Lensen

Angelika Lensen ist gelernte Bürokauffrau und hat Betriebswirtschaft an der FH studiert. Seit 2010 arbeitet Angelika Lensen als freie Autorin und Journalistin. Neben ihrer Tätigkeit als Redakteurin beim Artikelmagazin, publiziert sie auch Beiträge für andere Online- und Printmedien mit Schwerpunkt Gesundheit, Medizin, Ernährung, Wissenschaft, Naturheilkunde.