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Weihnachtskuchen:

Panettone – die EU pfuscht den Bäckern ins Rezept

Die altgewohnte Art, den Mailänder Panettone Weihnachtskuchen zu backen, ist den Italienern durch EU-Verordnungen untersagt worden. Doch die Mama daheim kümmert dies wenig.

Bäcker riecht am frisch gebackenen Panettone

EU-Verbot: der beliebte Mailänder Panettone darf nicht mehr auf traditionelle Art gebacken werden. Bild: © istockphoto.com

Im Amtsdeutsch klingt es ziemlich prosaisch: „Panettone (mailändisch panetùn) ist eine Mailänder Kuchenspezialität, die dort traditionell in der Weihnachtszeit verzehrt wird. Unter dem Namen Panetón findet man diese Kuchenspezialität auch in Peru als typischen Weihnachtskuchen“. So weit so gut. Wenn dieses „Amtsdeutsch“ nicht eigentlich eine Brüsseler Definition wäre, die einigen Hintersinn hat. Denn  die Experten der Europäischen Union haben Anstoß am Panettone Mailänder Art genommen; genauer, an Jahrhunderte alter Rezeptur. Und so heißt es bündig: „Die industriellen Produktionstechniken mussten im Hinblick auf neue europäische Nahrungsmittelverordnungen verändert werden“. Die traditionelle Zubereitung verlangt nämlich einen nicht vollständig durchgebackenen Teig und gegorene trockene Früchte. Dies aber verbietet Brüsseler Lebensmittelrecht.

Der Panettone entstand am Mailänder Hof

So hat sich neuerdings der Panettone im Laden geschmacklich leicht verändert. Die Mama, die ihn daheim aus Weinsauerteig zur Vorweihnachts- und Weihnachtszeit backt, kümmert sich indessen keinen Deut um Brüsseler Verordnungen. Weil nun fast jeder Italiener ein Feinschmecker, ein „buongustaio“ ist, weil er auch die einfachste Mahlzeit zu zelebrieren versteht, hat er nämlich einen hohen Sinn für die Tradition entwickelt, in der heimische Koch- und Backkunst stehen. Und so zelebriert er zur Weihnachtszeit seit mehr als fünf Jahrhunderten unbeirrt den Verzehr des Panettone, den die Italiener in ihrem Überschwang „in seiner ursprünglichen Form unsterblich“ nennen. Und mit Akribie wird immer wieder die Geburtsstunde des Panettone nachgezeichnet.

Es geschah am Mailänder Hofe des nicht nur machthungrigen Herzogs Ludovico il Moro (der Dunkle), unter dessen Herrschaft die Kultur der Renaissance in der lombardischen Metropole ihre größte Pracht entfaltete, dem auch Leonardo da Vinci zu Diensten stand. Und ein junger Koch mit dem auf österreichische Abstammung deutenden Namen Toni. Dieser junge Mann „erfand“ den Panettone zur Krönung des Festtagsmahls, zu dem der Herzog geladen hatte. Wobei andere, romantischere Überlieferungen sagen, Toni habe diesen Kuchen gar nicht für Ludovico erfunden, sondern in einiger Verliebtheit für seine Angebetete.

Das Mailänder Weihnachtsbrot – mit dem Kreuzzeichen

Was Koch Toni seinerzeit kreiert hatte, war allerdings nicht so süß wie heutzutage üblich, hatte auch nicht die inzwischen gewohnte Kuppelform, sondern war wie ein langes schlankes Weißbrot, das in Italien „filone“ genannt wird. Darum wird der Panettone auch „Mailänder Weihnachtsbrot“ genannt, das früher in den Familien erst am Weihnachtsabend unter der strengen Aufsicht des Hausherrn gebacken wurde. Bevor das Brot in den Backofen kam, ritzte er mit einem Messer ein Kreuz als Segenszeichen auf den Laib. Und jedes Familienmitglied erhielt eine Scheibe auf den Teller, denn dies brachte Glück und Wohlstand im kommenden Jahr.

Der Kuchen wird auch mit Eiscreme gefüllt

Solche Zeremonien sind heute weithin vergessen. Das „Weihnachtsbrot“ in Kuppelform wird in großen Mengen auch in abgeänderter Backart nach EU-Norm industriell hergestellt – mehr als 130.000 Tonnen sind es inzwischen Jahr für Jahr. In den Läden locken zuhauf die giftgrünen, knallroten oder violetten Schachteln mit der Aufschrift „Panettone classico“ – auch wenn er nicht mehr „klassisch“ ist. Und anstatt das Kreuzzeichen einzuritzen, wird bei vielen daheim von der Kuppel eine Kappe abgeschnitten, das Weihnachtsbrot ausgehöhlt und mit Eiscreme gefüllt. Dann hat man einen köstlichen „Panettone ripieno di gelato“.

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Über Klaus J. Schwehn

Nach 25 Jahren spannender Tätigkeit als Parlamentskorrespondent in Bonn (Badische Zeitung, Die Welt, Berliner Tagesspiegel) lebe ich heute in Oberitalien. Meine Arbeitsschwerpunkte sind Politik und Gesellschaft in Italien und Deutschland; aber auch Fragen der Europäischen Union.