Der Konstanzer Neuropsychologe Professor Dr. Thomas Elbert hat sich genau diese Fragen zum Forschungsobjekt gemacht und damit den ersten Schritt auf dem Weg zur Pionierarbeit geleistet. Denn einer seiner Forschungsschwerpunkte wird darauf liegen, ob es nicht möglich ist, dass sich die Persönlichkeitsänderung durch Gewalt gar in den Genen niederschlägt und dann über Generationen hinweg Fortbestand hat. Eine gewagte These, doch eine der Sorte, die den ehrenvollen ERC Advanced Grant erhielt, eine prestigebehaftete Förderung des Europäischen Forschungsrates in Höhe von 2,4 Millionen Euro.
Eine Auszeichnung als herausragende Forscherpersönlichkeit
Der ERC Advanced Grant geht grundsätzlich an etablierte Spitzenforscher, die eine wegbereitende, oftmals risikoreiche Pionierforschung betreiben. Wer den Advanced Grant erhält, gilt daher auch immer als herausragende Forscherpersönlichkeit. Dr. Thomas Elbert erhielt mit seinem Projekt den Zuschlag und setzte sich gegen rund 2.300 Mitbewerber durch. Sein Forschungsprojekt trägt den Namen „MemoTV: Epigenetic, neural and cognitive memories of traumatic stress and violence“ und dreht sich um traumatische Erfahrungen mit Stress und Gewalt. Dr. Elbert ist der Überzeugung, dass derartige Erlebnisse nicht nur das Verhalten beeinflussen, sondern sich tiefer im Organismus des Menschen eingraben. Der Forscher geht davon aus, dass die Erinnerung zwar einerseits im Gedächtnis verharrt, auf der anderen Seite aber auch in anderen Systemen des Körpers „gespeichert“ werden könne, in etwa in den Genen oder im Immunsystem.
Man wird ein anderer Mensch
Eine tiefverankerte Belastung durch Stress oder Gewalt führt zu einer systemischen Veränderung, das heißt, sowohl Täter als auch Opfer werden nicht nur sprichwörtlich, sondern tatsächlich zu anderen Menschen, ihre Persönlichkeit verändert sich. Der Forscher vergleicht die Situation mit einem Wohnungseinbruch. Als Opfer wird man dauerhaft vorsichtiger, man schließt die Tür immer ab und denkt öfter über Gefahrensituationen nach. Gleiches gilt aber auch für die Täter. Die einen können durch den Schrecken der Gewalt friedlicher werden, weil sie sich sagen, dass sie „so etwas“ nie wieder erleben wollen, andere finden Gefallen an der Gewalt und werden aggressiver. Entsprechend sei es mehr als nur eine Handlung, Gewalt auszuüben und führt zu einer nachhaltigen Veränderung der Persönlichkeit. Ob sich diese Veränderung im Erbgut niederschlägt, möchte Dr. Elbert mit seinem Team nun erforschen.
Die Transgenerationale These
Der Wissenschaftler selbst sieht diese „transgenerationale These“ als gewagt an, verweist aber auf Studien, denen zu Folge traumatische Erfahrungen an die folgenden Generationen weitergegeben werden können. Wenn diese Zusammenhänge nun geklärt werden können und man herausfindet, wie genau sich die traumatischen Erfahrungen im Organismus niederschlagen, so könne man Traumata künftig ganz anders behandeln. Dr. Elbert ist davon überzeugt, dass man durch die gewonnenen Erkenntnisse in der Lage sein wird, einen kriminellen Gewalttäter wieder zu einem friedlichen Mitglied der Gesellschaft zu machen. Für das Projekt wird es vor allem Forschungen in Krisengebieten geben, wo das Leid dominiert und schnelle Generationenwechsel stattfinden. Bestandteil hiervon werden beispielsweise die Kindersoldaten im Kongo sein, aber auch die Armenviertel in Rio de Janeiro, sowie die Townships in Südafrika. Ferner sollen auch die Auswirkungen von häuslicher Gewalt in Deutschland berücksichtigt werden. Wie man sieht, handelt es sich bei dem Projekt also in der Tat um kein ungefährliches, doch um ein wohl sehr wichtiges, das auf den Spuren der Gewalt wandelt.
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