Und was machst du am Sonntag? – Ich gehe mit meinen Äpfeln zum Pomologen… – Ja, sind sie denn krank? Nein, denn ein Pomologe ist kein Facharzt, wie man meinen könnte, sondern ein Apfelkenner, ein Apfelspezialist. Und das ist kein leichter Job. Denn es gibt weit mehr Sorten als das Angebot in den Supermärkten uns weismachen will. Die Zahlen schwanken zwischen 1.000 und über 2.000 Apfelsorten in Deutschland, 20.000 sind es weltweit.
Sortenbestimmung von Äpfeln und Apfelsortenschau
Am Sonntagnachmittag des 7. Oktober 2012 gehen sie zielstrebig auf das Vereinsheim des Kleingartenvereins Eiche e.V. im Bremer Stadtteil Findorff zu: Menschen mit Plastiktüten und Stoffbeuteln in der Hand. In ihren Taschen haben sie Äpfel; Äpfel, deren Namen sie nicht kennen. Im Vereinsheim sind Tische aufgebaut – auf einem türmen sich Kaffeetassen, daneben leere Kuchenteller. An diesem sonnigen Herbsttag haben sich mehr Leute hinaus getraut als erwartet, so hat es den Anschein.
In der hinteren Ecke leuchtet es in allen Farben – zumindest von gelb über grün bis hin zu rot: die Apfelsortenschau. Eine Menge Äpfel sind dort auf Tellern angerichtet – aufgeschnitten zum Probieren und mit Namensschildchen versehen. Und das gibt einen ersten Eindruck davon, dass das gängige Supermarktangebot ein Trauerspiel der Vielfalt ist. Golden Delicious, Jonagold, Elstar und Granny Smith begegnen uns häufig; doch was allein hier an Vielfalt aufgebaut ist, ist eine Augenweide, und doch nur ein kleiner Ausschnitt aus der Welt des Apfels.
Pomologen bei der Arbeit
Nach einem Schlenker zum Tisch, an dem kleine Apfelbäume bestellt werden können, Nachwuchs für den Garten, geht es weiter zu den Experten, den Pomologen. Drei von ihnen sitzen hoch konzentriert an einem Tisch. Vor ihnen steht eine Obstkiste mit Äpfeln, deren Besitzerin erwartungsvoll dreinblickt. Die drei Männer fühlen die Äpfel, drehen sie in den Händen hin und her, reiben die Oberfläche, untersuchen Stiel und Blüte, riechen daran, schneiden die Früchte auf und betrachten das Kerngehäuse, schneiden sich ein Stück ab und probieren.
Der Andrang ist noch groß, obwohl es bereits auf das Ende des Apfeltages zugeht. Die Menschen mit Tüten und Beuteln warten geduldig, denn es ist spannend, den Experten bei der Arbeit zuzuschauen. Auch reichlich Nachschlagewerke haben diese dabei – Apfelbestimmungsbücher, Kisten voller Ordner, in denen sich beispielsweise die Kerne aller möglicher Apfelsorten befinden. Denn auch diese sagen etwas aus – sind sie groß oder klein, dicht gedrängt oder lose raschelig im Gehäuse?
Fotografisches Gedächtnis gefragt
Manche Fälle sind so einfach, dass es beinahe scheint, als hätte man mit diesem Apfel nun nicht extra den Experten behelligen müssen. „Ein Ontario, ganz klar.“ Ein Blick hat genügt. Und doch ist sich Apfelkenner Johannes Hübotter nicht zu schade, den Ontarioapfel vorzustellen: Er kommt nicht, wie vermutet werden könnte, aus Kanada, sondern aus den USA. Und es handelt sich um einen Winterapfel, der spät – und das heißt erst Ende Oktober oder Anfang November – geerntet werden sollte und dann, nein nicht gegessen, sondern gelagert, am besten bis Februar. Dann erst ist er „richtig“ – und hat auch eine ganz andere Färbung bekommen. Oder aber es geht mit dem Apfel nach dem Pflücken zum Mosten, ergänzt Pomologenkollege Andreas Kallwitz.
Auch aus anderen Stadtteilen, aus anderen Kleingartenvereinen sind die Menschen zum Apfeltag gekommen. Ein Mann, der in Riensberg seine Parzelle hat, legt drei winzige Äpfel auf den Tisch der Pomologen. Diese betrachten die Äpfel, als handele es sich um rohe Eier oder etwas noch Abwegigeres. Nein, dies ist wohl keine Sorte, sondern eine unbeabsichtigte Mutation – oder etwas in der Art. Drei Äpfel pro Sorte sollten mitgebracht werden, typische Exemplare, nicht im Schatten gewachsen. Doch auf Fragen wie „Wie alt ist der Baum?“ oder „Welchen Umfang hat der Stamm?“ oder „In welcher Höhe sind die ersten fruchttragenden Äste?“ sind die Hobbygärtner nicht vorbereitet und kommen ins Stammeln.
Mehr zum Thema:
Bauern und Kleingärtner dürfen alte Sorten anbauen
War der Vorpächter des Gartens ein Russe?
Bei den nächsten Apfelproben, die auf dem Tisch ausgebreitet werden, bekommen die Experten leuchtende Augen: „Das könnte ein Kaiser Alexander sein! Eine seltene Sorte!“ „War der Vorpächter ein Russe?“, fragt Hübotter schelmisch. „Denn diese Sorte kommt aus Russland“. Und er trifft ins Schwarze. Tatsächlich, der Vorpächter war ein Russe, und mehr noch, er hieß sogar Alexander. Doch er kann den Baum nicht aus seiner Heimat mitgebracht haben, denn er hatte den Garten nur ein Jahr, und der Baum ist auf alle Fälle wesentlich älter. Die Pomologen schlagen in ihren Unterlagen nach, doch zu einer gesicherten Erkenntnis kommen sie nicht. So notieren sie sich Name und Telefonnummer der Apfelbaumbesitzerin, sacken die Äpfel ein und wollen sich in Ruhe mit der Materie befassen. „Sehr schöne Äpfel sind das; eine tolle rote Farbe…“, geben sie mit auf den Weg. Für dieses Kompliment gibt man doch gern seine Äpfel her.
© Pixel Trader Ltd. 2013 Alle Rechte vorbehalten