Die südlichen Einheiten der Guardia di Finanza sind erleichtert, die Bevölkerung aufs Höchste beunruhigt: Neueste Untersuchungen der italienischen Finanzpolizei vom Juli 2012 belegen eindeutig, dass die „Ehrenwerte Gesellschaft“, landläufig Mafia genannt, in großem Umfang ihre geschäftlichen Aktivitäten aus Sizilien abzieht und ihre Wirkungsfelder in den Norden der Apennin-Halbinsel verlegt. In die reiche, industrialisierte Lombardei beispielsweise – mit intensiver Ausstrahlung nach Mitteleuropa. Die Mafia hat den richtigen Riecher: Die Autonome Region Sicilia ist abgebrannt, steht wirtschaftlich vor dem Ruin und gilt inzwischen, sehr zum Kummer des römischen Ministerpräsident Mario Monti, „als Griechenland Italiens“, wie es der Vizepräsident des Industriellenverbandes, Ivan Lo Bello, knapp, treffend und drastisch ausgedrückt hat.
Im Oktober soll es Neuwahlen geben
Das erste politische Ergebnis dieses anstehenden Kollapses ist, dass der seit dem Jahr 2010 amtierende Gouverneur Raffaele Lombardo – früher Christdemokrat, jetzt Mitglied einer „Bewegung für Autonomie“ – zum 31. Juli 2012 vorzeitig vom Amt zurückgetreten ist und für Oktober Neuwahlen zum Regionalparlament ausgerufen sind. Was alles wenig ändern wird. Denn die alten Kräfte werden bleiben. Auch wenn sich die Mafia allmählich aus dem traditionellen Schutzgeldgeschäft zurückzieht. Als Arbeitgeber zieht die Organisation in den Norden, doch die „ehrenwerten Familien“ spielen als Wahlhelfer vor Ort – in den heimischen „Ruheräumen“ – weiter ihre gewichtige Rolle. Sie wissen, was eigentlich jeder weiß: 70 Prozent der Wählerstimmen sichern sich die Politiker mithilfe einer fest verwurzelten Klientelwirtschaft. Korrupte Politiker – und davon gibt es eine Menge – haben im engen Zusammenspiel mit der Mafia öffentliche Kassen und europäische Fonds geplündert, ohne je im Lande ein konkurrenzfähiges Wirtschaftssystem zu schaffen.
Eine von fünf Autonomen Regionen Italiens
Und das wäre schon lange geboten gewesen. Sizilien ist eine der fünf so genannten „Autonomen“ Regionen im Lande. Das heißt, sein Parlament und seine Regierung haben unabhängig von der Zentralregierung in Rom die Finanzhoheit über die eigenen Steuereinnahmen, sie haben die volle Gesetzgebungskompetenz in den Bereichen Kulturgüter, Tourismus, Landwirtschaft, Fischfang sowie in territorialen Fragen. Viel Spielraum also, der verspielt worden ist:
Wer immer regierte, hat seine Freunde und deren Freunde und deren Freunde vorzugsweise im öffentlichen Dienst untergebracht. Heute kassieren dort 144.000 glückliche Sizilianer monatlich ein Gehalt vom Staat; jeder achte ist „Chef“ von irgendwas. Viele Behörden quellen über von Beamten, die im Grunde keine Ahnung haben, was sie in den Behördenstuben tun sollen. Aber der Beruf des „Jobentwicklers“ hat es in Sizilien zu besonderer Blüte gebracht. Das Beispiel wird mit Kopfschütteln gern zitiert: 27.000 Menschen schützen von Amts wegen die spärlichen Wälder der kargen Insel. Kurzum: Die politische Kaste im halbautonomen Sizilien hat jahrelang so üppig Geld und Jobs verteilt, dass nun der Bankrott droht.
Die Staudämme ohne Wasserzufluss
Rund 20 Milliarden Euro an Zuschüssen der Europäischen Union standen der Insel seit dem Jahr 2000 zur Verfügung. Nur ein Bruchteil davon konnte abgerufen werden, denn es fehlten zukunftsfähige, belegbare Projekte. Und was an EU-Zuschüssen in die Kassen floß, wurde häufig verpulvert. Die Ruinen sieht man heute allenthalben im Lande – beispielsweise Autobahnbrücken ohne Anschluss oder Staudämme ohne Wasserzulauf. Mit brutaler Nonchalance wurde Nonsens in die Tat umgesetzt. Für Brüssel ist es jedenfalls damit vorbei. Als auch Bars und Weihnachtskrippen mit EU-Finanzmittel gesponsert werden sollten, sperrte die EU eigentlich fällige 600 Millionen Euro. So haben sich in Sizilien nunmehr 21 Milliarden Euro Schulden angesammelt. Italiens Regierungschef Monti will nun einen Staatskommissar nach Palermo schicken; die Region riskiert, ihren Autonomie-Status zu verlieren.
In Sizilien leben 27 Prozent der Bevölkerung unter der Armutsgrenze, die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei offiziell 19,5 Prozent. Und fast ein Drittel der Abgeordneten ist vorbestraft oder muss sich derzeit in einem laufenden Prozess verantworten. Peanuts sagen die einen; die anderen zucken mit den Schultern.
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