Nicht nur der unlängst aufgedeckte Diebstahl der Online-Identität eines hochrangigen NATO-Admirals belegt, wie moderne Schlapphüte Facebook, Twitter und Co. leise für sich vereinnahmt haben.
Das romantische Klischee des Spions kämpft um sein Überleben. Die Ära des Agentenaustauschs auf nebligen Berliner Brücken, der konspirativen Übergabe von Aktenordnern an dunklen Straßenecken und Erpressungsversuchen mit kompromittierenden Fotos verschwindet zusehends in das Reich von John le Carré-Romanen. Die Agenten des Cyber-Zeitalters tummeln sich stattdessen auf sozialen Netzwerken, imitieren die Online-Identität eines NATO-Admirals auf Facebook oder dirigieren Bombenangriffe in Libyen mit Hilfe von Twitter. Eine Spezialabteilung des amerikanischen Nachrichtendienstes CIA umschreibt die neuen Anforderungen an moderne Schlapphüte sogar mit einem Spitznamen und nennt sich selbst „die Ninja-Bibliothekare“.
NATO-Admiral im Visier
Dass die virtuelle Welt von Online-Identitäten ein geradezu logisches Umfeld für Spione ist, war Insidern dabei schon lange klar. Doch der Fall des NATO-Admirals James Stavridis hat nun auch die Öffentlichkeit auf diesen Umstand aufmerksam gemacht. Stavridis ist Kommandierender General des „US European Command“ (EUCOM) und außerdem „Supreme Allied Commander Europe“ der NATO – damit einer der höchstrangigen Militärvertreter der westlichen Welt. Die britische Zeitung „Sunday Telegraph“ hatte in der vergangenen Woche enthüllt, dass die Spionageabwehr der NATO auf ein gefälschtes Facebook-Konto gestoßen war, das den Namen des Admirals trug. Von diesem Konto aus seien gezielt Freundschaftsanfragen an Führungspersönlichkeiten in den Rängen des europäischen Militärs verschickt worden. Dabei war es den Hintermännern des gefälschten Kontos gelungen, Zugang zu den persönlichen Daten dieser Militärvertreter zu erlangen, wie zum Beispiel „private E-Mail Adressen, Telefonnummern oder Fotos“.
Psychologische Profile und Erpressung
Der Vorgang, bei dem Informationsdiebe gefälschte Online-Profile auf sozialen Netzwerken anlegen, um Anderen vorzugaukeln, es handele sich um eine ihnen bekannte Person, wird „spear phishing“ genannt – wenn das Ziel einer solchen Operation eine prominente Persönlichkeit ist, wird von „whaling“ gesprochen. Bei der NATO wurde zwar sofort versichert, dass keiner der attackierten Militärs strategische Geheimnisse auf einer Facebook-Seite diskutieren würde. Jedoch sind diese Methoden nach Experteneinschätzung besonders dann gefährlich, wenn das Opfer nach einiger Zeit die Identität des Kontos nicht mehr anzweifelt und dann mehr vertrauliche Informationen preisgibt. Solche Daten könnten für persönliche oder psychologische Profile oder schlimmstenfalls sogar zur Erpressung von Militärgeheimnissen benutzt werden.
China unter Verdacht
NATO-Vertreter wollten offiziell nicht bestätigen, wer hinter der Facebook-Operation stehen könnte. Allerdings gab der Telegraph unter Berufung auf vertrauliche Quellen an, dass in geheimen Sitzungen Generäle und Diplomaten darüber unterrichtet worden seien, dass das Facebook-Konto von Internet-Protokoll Adressen aus operiert worden sei, die zu „staatlich geförderten Individuen in China“ gehörten. Oder kurz: Chinesische Spione hätten demnach über Facebook versucht, die NATO zu infiltrieren.
Der Vorfall bringt für die NATO ein gewisses Maß von Ironie mit sich, da das Militärbündnis seit einiger Zeit selbst versucht, sich soziale Netzwerke zunutze zu machen. Auf den Fall Stavridis angesprochen, betont ein NATO-Sprecher, dass solche Ereignisse nicht dazu führen dürften, dass die Öffentlichkeit anfängt, sozialen Netzwerken zu misstrauen: „Soziale Netzwerke haben eine wichtig Rolle in unseren Operationen in Libyen gespielt. In ihnen hat sich die Zunahme von öffentlicher Opposition widergespiegelt. Gleichermaßen konnten wir mit Hilfe von sozialen Netzwerken die Truppenbewegungen der Streitkräfte des libyschen Regimes verfolgen.“
Luftangriffe mit Twitter-Info
Worauf der NATO-Sprecher anspielt: im Sommer vergangenen Jahres nutzte das Bündnis Echtzeit-Einträge libyscher Blogger auf dem Netzwerk Twitter, auch als „Tweets“ bekannt, um Gaddafi-Truppen aufzuspüren und zu bombardieren. Die Twitter-Informationen waren dabei für die Generäle besonders wertvoll, weil das UNO-Mandat für Libyen keine Bodentruppen gestattete und die NATO daher auf alternative Beobachtungen aus nächster Nähe angewiesen war. Der britische NATO-Kommandant Mike Bracken erläuterte der Agentur AFP zur Zeit der Kämpfe: „Wir bekommen unsere Informationen aus offenen Quellen im Internet, außerdem nutzen wir Twitter.“
Solche Berichte bestätigen nach Einschätzung von Joseph Fitsanakis und Micah-Sage Bolden einen signifikanten Trend: Für Nachrichtendienste, egal ob militärisch oder zivil, ist die Arbeit ohne Rückgriff auf soziale Netzwerke nicht mehr möglich. Die beiden amerikanischen Politologen und Sicherheitsexperten veröffentlichten im Februar eine Studie, die den Umgang der internationalen Agenten mit Facebook, Twitter und Co. untersucht. Sie stützen ihre Einschätzung dabei auf drei Fallstudien: die Revolutionen des „arabischen Frühlings“, den libyschen Bürgerkrieg und Israels Operationen gegen Gaza-Aktivisten.
Kehrseite in Israel
Laut Fitsanakis habe besonders der arabische Frühling die U.S.-Regierung dazu veranlasst, „Richtlinien zu entwickeln, wie taktisch relevante Informationen aus sozialen Netzwerken gewonnen werden können“. Allerdings zeigten Ereignisse in Israel auch, wie Aktivisten in solchen Medien nicht nur ermutigt, sondern auch bekämpft werden können. Während der von europäischen Gruppen organisierten „Willkommen in Palästina“-Solidaraktion war der israelische Geheimdienst seinen Gegnern stets einen Schritt voraus. Jegliche Online-Aktivität und geplante Proteste waren den Staatsbehörden dank deren eigener Präsenz auf Facebook und Twitter genau bekannt.
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Experten wie Fitsanakis betonen auch, dass die Öffentlichkeit sich die Arbeit von Nachrichtendiensten oft falsch vorstelle und annehme, dass es vornehmlich um das „Ausschnüffeln von Geheimnissen“ gehe. Stattdessen sei ein großer Teil der Arbeit schlichtweg das Auswerten und Filtern von frei zugänglichen Informationen, was im Fachjargon als „open sourcing“ bezeichnet wird. Und dazu seien soziale Netzwerke eine geradezu „endlose Fundgrube“.
CIA prüft täglich 5 Millionen Tweets
Das hat auch die CIA erkannt und deswegen ihr „Open Source Center“ (OSC) ins Leben gerufen. Der U.S.-Geheimdienst beschäftigt nach eigenen Angaben mehrere hundert mehrsprachige Datenanalysten, die täglich unzählige öffentlich zugängliche Informationsquellen durchkämmen. Die Relevanz von sozialen Netzwerken wurde den OSC-Experten besonders 2009 bewusst. Denn auch während der sogenannten „grünen Revolution“ im Iran nutzen Regimegegner vor allem Facebook und Twitter, um ihre Proteste zu organisieren. Als Reaktion zu den Ereignissen im Iran hat die CIA technische Kapazitäten erhöht. Nach Angaben der Agentur AP sind die Datenverwerter des Geheimdienstes im OSC nun in der Lage, täglich fünf Millionen Tweets zu überwachen.
Diese amerikanischen Schreibtisch-Agenten verfassen regelmäßige Berichte über die öffentliche Meinung rund um den Globus, die sich auf Facebook, Twitter und Blogs stützen – eine Zusammenfassung, auf die U.S.-Präsident Barack Obama gerne und oft zurückgreift. Zur Veranschaulichung der Relevanz berichtet OSC-Direktor Doug Naquin, dass seine Analysten zum Beispiel vorhergesagt hatten, dass „soziale Netzwerke in Ägypten zu einem entscheidenden Faktor werden und eine Bedrohung für das Regime darstellen“. Daran dass seine selbst benannten „Ninja-Bibliothekare“ eine neue und wichtige Spezies in der Welt der internationalen Geheimdienste sind, hegt Naquin keine Zweifel.
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