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Intersexualität:

Ethikrat fordert mehr gesellschaftliche Verantwortung

Kürzlich hat der Deutsche Ethikrat seine Stellungnahme zur Situation intersexueller Menschen in Deutschland abgegeben.

Intersexuelle Menschen bekommen mehr Rechte eingeräumtDer Auftrag wurde von der Bundesregierung gegeben und sollte den Status Quo der nicht eindeutig zuzuordnenden Geschlechter erörtern und bewerten. Der Ethikrat ist zu dem Ergebnis gekommen, dass intersexuelle Menschen bisweilen durch teilweise ungewollte medizinische Eingriffe im Kindesalter massiv in Ihrem Persönlichkeitsrecht verletzt wurden. Des Weiteren empfiehlt der Rat intersexuelle Menschen vor einer Diskriminierung zu schützen, unter anderem durch eine neue amtliche Angabe des Geschlechts, nämlich: anderes.

Mehrere Rechtsverletzungen bei ungewollten medizinischen Eingriffen

Intersexualität:
Die Medizin spricht von einer Intersexualität, wenn Menschen aufgrund von genetischen, anatomischen oder hormonellen Gründen nicht eindeutig als Mann oder Frau identifiziert werden kann. Das Phänomen wird häufig auch als Sexualdifferenzierungsstörung (engl. disorder of sex differentiation, DSD) bezeichnet.

In der Vergangenheit wurden viele intersexuelle Menschen ungefragt in eine geschlechtliche Rolle gepresst. Bereits im frühen Kindesalter wurden dafür medizinische Eingriffe und Hormonbehandlungen vorgenommen, was nach Ansicht des Ethikrates gleich mehrere massive Rechtsverletzungen darstellt. So stellen unumkehrbare medizinische Maßnahmen einen Eingriff in das Recht auf körperliche Unversehrtheit, auf eine offene Zukunft und oft auch in das Recht auf Fortpflanzungsfreiheit dar. Auch die Wahrung der geschlechtlichen und sexuellen Identität wurde durch die Eingriffe verletzt. Nach dem Ethikrat ist die Entscheidung über das eigene Geschlecht eine höchstpersönliche Angelegenheit, die nicht von außen beeinflusst werden darf, schon gar nicht durch operative Maßnahmen. Eine Ausnahme bei nicht entscheidungsfähigen Personen, zum Beispiel bei Kleinkindern, bestünde nur dann, wenn das Auslassen einer Operation langfristige Folgen für das Kind hätte. Solch eine Ausnahme dürfe aber nur dann erfüllt sein, wenn die Intersexualität schwerwiegende Folgen für die physischen Gesundheit oder gar das Leben des Kindes aufweisen würde. In allen anderen Fällen dürfe man den Betroffenen die Entscheidung über ihr Geschlecht nicht abnehmen.

Ärzte sollen länger haftbar gemacht werden können

Für eine angemessene medizinische Diagnostik und Behandlung bei intersexuellen Menschen schlägt der Ethikrat vor, ein Kompetenzzentrum von Ärzten und Experten aus allen beteiligten Disziplinen zu errichten. Dabei soll der Schwerpunkt auch auf eine weiterführende medizinische Betreuung von unabhängigen Beratungsstellen gelegt und eine Beratung durch andere Betroffene sowie durch Selbsthilfeeinrichtungen gefördert werden. Dabei sollen alle Behandlungsmaßnahmen lückenlos dokumentiert und für 40 Jahre aufbewahrt werden. Auch die Verjährung von Straftaten an Kindern solle angepasst werden und auch für Eingriffe gelten, welche die Fortpflanzungs- oder die sexuelle Empfindungsfähigkeit unumkehrbar beeinträchtigen.

Entschädigung für Betroffene

Personen, die durch einen ungefragten Eingriff in ihre geschlechtliche Sexualität Schmerzen, persönliches Leid oder auch dauerhafte Einschränkungen in ihrer Lebensqualität erlitten haben, sollten finanzielle Anerkennung und Hilfe erhalten. Voraussetzung für eine Entschädigung ist die Durchführung von Behandlungen, die nach heutigen Erkenntnissen nicht oder nicht mehr dem Stand der Medizin und Technik zugerechnet werden können. Auch muss eine Behandlung aufgrund von gesellschaftlich ausgrenzenden Motiven bei abweichender geschlechtlicher „Normalität“ erfolgt sein. Um die finanzielle Aufwendung zu ermöglichen solle laut Ethikrat ein eigens dafür vorgesehener Fond errichtet werden, der zudem auch den Selbsthilfegruppen und Betroffenenverbänden unter die Arme greifen könne.

Angabe von drittem Geschlecht auf amtlichen Dokumenten

Als Eingriff in das Persönlichkeitsrecht und das Recht auf Gleichbehandlung sieht der Ethikrat den Zwang bei amtlichen Dokumenten ein Geschlecht angeben zu müssen. Man könne intersexuelle Menschen nicht zu einer festlegenden Angabe von „weiblich“ oder „männlich“ zwingen, solange noch Unklarheit über das eigene Geschlecht besteht. Für die Möglichkeit, dass Betroffene sich dazu entscheiden, auch weiterhin zweigeschlechtlich zu leben müsse es eine dritte Alternative geben, die schlicht „anderes“ lauten könnte. Auch in solchen Fällen müsse die Gesetzgebung ein Gesetz erlassen, welches den Betroffenen zumindest eine eingetragene Lebensgemeinschaft ermöglicht. Ein Teil des Ethikrates sprach sich gar dafür aus, dass Personen, die „anderes“ als Geschlecht angeben auch die Möglichkeit zu einer gewöhnlichen Eheschließung gegeben wird.

WebLink: Die komplette Stellungnahme des Deutschen Ethikrates (1.48 MB)
http://www.ethikrat.org/dateien/pdf/stellungnahme-intersexualitaet.pdf

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Über Stephan Lenz

Stephan Lenz studierte Philosophie, Soziologie und Anglistik an der Universität Mannheim. Es folgten schriftstellerische Fortbildungen und die freiberufliche Arbeit als Autor und Journalist. Neben unzähligen Artikeln in diversen Magazinen, veröffentlichte er Prosa im Charon Verlag, Hamburg, sowie im Wortkuss-Verlag, München. Er gehört seit vielen Jahren zum festen Stamm der Redaktion des Artikelmagazins.